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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage
Autoren: Natascha Kampusch
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Hotel ins Burgenland gebracht. Nachdem die Fahndung der Wiener Polizei nach mir ins Leere gelaufen war, hatte später eine burgenländische Sonderkommission meinen Fall übernommen. In ihre Obhut wurde ich nun überstellt. Es war längst Nacht, als wir im Hotel ankamen. Begleitet von der Polizeipsychologin führten mich die Beamten in ein Zimmer mit einem Doppelbett und einem Badezimmer. Das ganze Stockwerk war geräumt worden und wurde nun von bewaffneten Beamten überwacht. Man fürchtete die Rache des Täters, der immer noch verschwunden war.
    Die erste Nacht in Freiheit verbrachte ich mit einer unablässig redenden Polizeipsychologin, deren Sätze in einem ständigen Strom über mich hinwegplätscherten. Wieder war ich von der Außenwelt abgeschnitten - zu meinem Schutz, wie die Polizei beteuerte. Sie wird damit recht gehabt haben, doch ich selbst drehte in diesem Zimmer fast durch. Ich fühlte mich eingesperrt und hatte nur einen einzigen Wunsch: Radio hören. Erfahren, was mit Wolfgang Priklopil geschehen war. »Glauben Sie mir, das ist nicht gut für Sie«, wimmelte mich die Psychologin wieder und wieder ab. Ich rotierte innerlich, aber ich fügte mich ihrer Anweisung. Spätnachts nahm ich ein Wannenbad. Ich sank ins Wasser und versuchte mich zu entspannen. Ich konnte an zwei Händen abzählen, wie oft ich in den Jahren meiner Gefangenschaft ein Bad nehmen durfte. Nun konnte ich es mir selbst einlassen und so viel Badezusatz hineingießen, wie ich wollte. Doch genießen konnte ich es nicht. Irgendwo da draußen war der Mann, der achteinhalb Jahre lang der einzige Mensch in meinem Leben gewesen war, auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich umzubringen.
    Ich erfuhr die Nachricht am nächsten Tag im Polizeiauto, das mich nach Wien zurückbrachte. »Gibt es Neuigkeiten über den Täter?«, war meine erste Frage, als ich ins Auto stieg.
    »Ja«, sagte der Polizist vorsichtig. »Der Täter lebt nicht mehr. Er hat sich selbst gerichtet und um 20.59 Uhr beim Nordbahnhof in Wien vor einen Zug geworfen.«
    Ich hob den Kopf und sah zum Fenster hinaus. Draußen zog die flache, sommerliche Landschaft des Burgenlands an der Autobahn vorbei. Ein Schwarm Vögel stieg aus einem Feld auf. Die Sonne stand schräg am Himmel und tauchte die spätsommerlichen Wiesen in warmes Licht. Ich atmete tief ein und streckte die Arme aus. Ein Gefühl der Wärme und Sicherheit durchflutete meinen Körper, ausgehend vom Bauch bis in die Zehen- und Fingerspitzen. Mein Kopf wurde leicht. Wolfgang Priklopil war nicht mehr. Es war vorbei.
    Ich war frei.

Epilog
    You don't own me
    I'm not just one of your many toys
    You don't own me
    (aus dem Lied
You Don't Own Me,
    geschrieben von John Mandara and David White, gesungen von Lesley Gore)
     
    DIE ERSTEN TAGE meines neuen Lebens in Freiheit verbrachte ich im Allgemeinen Krankenhaus Wien auf der kinder- und jugendpsychiatrischen Station. Es war ein langsamer, behutsamer Einstieg in das normale Leben - und auch ein Vorgeschmack auf das, was mich erwartete. Ich war bestens betreut, aber auf einer geschlossenen Station untergebracht, die ich nicht verlassen durfte. Von der Außenwelt abgeschnitten, in die ich mich gerade erst gerettet hatte, unterhielt ich mich im Aufenthaltsraum mit magersüchtigen jungen Mädchen und Kindern, die sich selbst verletzten. Draußen, vor den schützenden Mauern, tobte ein Mediensturm. Fotografen kletterten in die Bäume, um das erste Bild von mir zu erhaschen. Reporter versuchten, sich als Krankenpfleger verkleidet ins Spital einzuschleusen.
    Meine Eltern wurden mit Interviewanfragen überhäuft. Mein Fall war der erste, sagen Medienwissenschaftler, bei dem die sonst eher zurückhaltenden österreichischen und deutschen Medien alle Schranken fallen ließen. In den Zeitungen erschienen Fotos meines Verlieses. Die Betontüre stand weit offen. Meine kostbaren, wenigen Besitztümer, meine Tagebücher und die paar Kleider - lieblos durcheinandergeworfen von Männern in weißen Schutzanzügen. Gelbe Schilder mit Nummern prangten auf meinem Schreibtisch und an meinem Bett. Ich musste zusehen, wie mein kleines, so lange eingeschlossenes Privatleben auf den Titelseiten landete. Alles, was ich selbst vor dem Täter noch verbergen hatte können, wurde nun in die Öffentlichkeit gezerrt, die sich ihre eigene Wahrheit zurechtlegte.
    Zwei Wochen nach meiner Selbstbefreiung entschloss ich mich, den Spekulationen ein Ende zu setzen und meine Geschichte selbst zu erzählen. Ich gab drei
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