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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden
Autoren: Karl May
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Schuppen prasselte; er neigte sich nach rechts, nach links, worauf sein hinterer Teil krachend zusammenbrach. Und als ob der Blizzard damit befriedigt worden sei, trat jetzt die Ruhe ebenso plötzlich ein, wie der Sturm plötzlich gekommen war. Die Gefahr war vorüber.
    Wirklich vorüber? Für Winnetou und mich, ja, ob aber auch für die andern? Unter den Trümmern der eingestürzten Schuppenhälfte arbeitete sich eine Gestalt hervor, welche mit lautem Gebrüll von dannen lief; das war Slack. Von der andern Ecke her erklangen unartikulierte Laute, als ob einer rufen wolle, aber nicht könne, wir hüllten uns aus unsern Decken und gingen hin. Da lag Grinder zwischen zerbrochenen Brettern unter einem Balken, der ihm fast die Brust eindrückte. Ich hob den Balken empor, und Winnetou zog den Verletzten heraus, welcher in Ohnmacht fiel, sobald er von seiner Last befreit war. Wir trugen ihn nach der Offizierswohnung, an deren Tür uns der Kapitän entgegenkam, um nachzusehen, welchen Schaden der Blizzard im Fort angerichtet hatte; er kehrte mit uns um. Als wir Grinder hineinbrachten und am Feuer niederlegten, konnten wir seine Verletzungen sehen und schrien alle vor Schreck auf. Es war ein Brett mit der scharfen Kante quer über sein Gesicht gefallen und hatte ihm die Nasenwurzel ein- und beide Augen ausgeschlagen.
    „Blind, blind, blind!“ rief der Kapitän, indem er die Hände faltete. „Wie hat er gelästert, daß er gleich erblinden wolle! Das ist Gottes Gericht.“
    Ich sagte kein Wort, so tief ergriffen war ich; auch Winnetou stand stumm neben mir. Dann verbanden wir den von Gott Gerichteten und legten ihn auf das Lager eines der Leutnants. Hierauf gingen wir hinaus, um nach den Folgen des Orkanes zu sehen. Der einzige Schaden, den er angerichtet hatte, bestand darin, daß unser Schuppen eingestürzt war. Nun suchten wir nach dem verschwundenen Slack. Seine Spur führte nach der Plankenumzäunung, über welche er gestiegen war, und draußen weiter nach dem nahen Wald. Der Schnee war knietief; er leuchtete so, daß wir der Fährte ohne Fackeln folgen konnten. Am Rand des Waldes angekommen, hörten wir zwischen den Bäumen eine ganz eigentümlich lallende menschliche Stimme. Wir drangen in das Dickicht ein und fanden Slack, welcher unter einem Baum den Schnee aufgewühlt hatte und, lang an der Erde liegend, die eine Hand unter dem Wurzelwerk hatte, wobei er wie ein Kind immer vor sich hinsang:
    „Staub, Nuggets – Staub, Nuggets – acht Beuteln voll – – –!“
    Er ließ sich nur mit Gewalt wegreißen, und dann fanden wir unter dem Moos acht mehr als pfundschwere Lederbeutel. Das stimmte genau mit den Notizen der Burnings; es war das Gold, welches ihnen den Tod gebracht hatte.
    Slack wurde nach dem Fort geschafft. Dort sahen wir, daß Blut in seinen Haaren klebte. Als wir seinen Kopf untersuchten, stellte sich heraus, daß auch er von den zusammenbrechenden Hölzern schwer getroffen worden war. Ob infolge davon sein Geist umnachtet war oder ihn schon vorher die Angst um den Verstand gebracht hatte, das konnte nicht entschieden werden.
    Also Grinder blind und Slack wahnsinnig! Ganz so, wie sie es in ihrem Unglauben und ihrer Frechheit von Gott gefordert hatten! Wer da noch leugnet, daß es eine ewige Gerechtigkeit gibt, der kein Mensch, ob hier oder im Jenseits, entgehen kann, der mag sich wohl hüten, durch das Walten eben dieser Gerechtigkeit zur Erkenntnis geführt werden zu müssen! Gottes Gerichte sind unabwendbar und gerecht. Jede Schuld muß getilgt werden, ob früh oder spät, hier oder drüben, und kein Schuldiger entgeht der Strafe.
    Sonderbarerweise trat nach dem schlimmen Tag wieder mildes Wetter ein, welches uns die Fortsetzung unseres Ritts erlaubte. Grinder und Slack blieben als Schwerkranke auf dem Fort zurück. Ihr Schicksal hing, wenn sie ihren Verletzungen nicht erlagen, von den dortigen Offizieren ab, welche uns eine Strecke weit das Geleit gaben. Die beiden Caddo-Indsmen bekamen Grinders und Slacks Pferde geschenkt; sie konnten uns also begleiten. Wir brachten sie bis an den vereinigten Plattefluß, wo sie von uns schieden, uns ihrer immerwährenden Dankbarkeit dafür versichernd, daß wir sie vom unverdienten Tod des Erhängens gerettet hatten. –
    Vier Jahre später stieg ich in Baton-Rouge aus dem Mississippi-Steamer, weil ich hier auf das Dampfboot nach Natchez warten mußte. Am Landeplatze saßen zwei Bettler, elend, hager aussehend und fast in Lumpen gekleidet. Ihre Gesichter
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