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296 - Totes Land

296 - Totes Land

Titel: 296 - Totes Land
Autoren: Oliver Fröhlich
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eingeschlafen und wache wieder auf - nur um ein Vielfaches schlimmer.
    Erst nach und nach nahm sie ihre Umwelt wahr. Ein monotoner, aber kräftiger Singsang drang an ihre Ohren und ließ sie erbeben.
    Der Gesang stammte aus Hunderten missgestalteten Kehlen. Die Einwohner dieser sonderbaren Stadt! Sie alle starrten sie an, als erwarteten sie etwas von ihr.
    Neben ihr stand ein Widerling allererster Güte. Splitterfasernackt, wenn man von der lächerlichen Gasmaske mit dem langen Rüssel absah. Auf Höhe des Mundes klaffte ein fransiges Loch, durch das man die Lippen sehen konnte: dunkle, zerfetzte Hautlappen.
    »Schön«, sagte er mit einer Fistelstimme. »Das Ritual der Reinheit wirkt. Dein Fleisch wird gesäubert und ist bald bereit, meinen Sohn zu tragen.«
    Es dauerte einige Sekunden, bis die Bedeutung der Worte in Xijs Bewusstsein tropfte - und sie lähmte.
    Mit feuchten Tentakelfingern, die ihm direkt aus den Ellenbogen wuchsen, tastete er ihren Körper ab. Geifer tropfte aus seinem Mund.
    Der Körper des Obersten Liquidators schien vor Erregung grün zu pulsieren. Als sie sich umwandte, erkannte sie ihren Irrtum. In der Wand hinter ihnen steckte ein großer Kristall. Das Leuchten stammte von ihm! Nur eine gezackte, fingerdicke Linie blieb dunkel, offenbar ein Riss im Stein.
    Ein… Daa'mure!
    Xij hatte selbst noch keinen dieser Kristalle gesehen, aber davon gehört, zuletzt von Matthew Drax. Automatisch wusste sie, dass dieses Überbleibsel der Außerirdischen die Wurzel allen Übels darstellte.
    Ihre Entdeckung hatte sie so abgelenkt, dass sie das Tasten der Tentakelfinger gar nicht mehr wahrgenommen hatte. Als sich aber einer zwischen ihre Oberschenkel schob, reagierte sie wie von selbst.
    Ihre Hand fuhr hinab und riss das widerliche fleischige Ding weg.
    Sie rechnete mit einer wütenden Reaktion des Obersten Liquidators , mit einer Züchtigung, doch zu ihrer Überraschung zuckten alle seine Finger zurück.
    Sie blickte auf und erkannte den Grund dafür.
    Zwischen den Prypten hatte sich eine Lücke aufgetan, an deren Ende zwei Männer knieten. Ihre käsigen Gesichter waren blutverschmiert, ihre Augenringe waren wie mit Kohle gemalt.
    »Matt? Rulfan?«, flüsterte Xij.
    »Eindringlinge!« kreischte der Oberste Liquidator . Seine Lippenlappen flatterten. »Tötet sie!«
    Die Köpfe sämtlicher Anwesenden ruckten herum. Dann wogte die Masse auf die Männer zu und begrub sie unter sich. Der Fettwanst beobachtete gebannt das Geschehen.
    Das war ihre Chance. Sie musste etwas unternehmen. Aber was? Sie war unbewaffnet. Sie konnte sich auf den Fleischberg stürzen, doch ihre Aussichten, ihn zu Fall zu bringen, waren lächerlich gering.
    Verzweiflung überkam Xij. Wieder stand sie als schwacher Mensch vor einem Daa'murenkristall und…
    Moment mal. Hatte sie nicht eben noch geglaubt, sie würde so ein Kristallding zum ersten Mal sehen? Woher kam dann diese Erinnerung? Von einer ihrer früheren Existenzen, na klar! Aber von welcher?
    Auf einmal stand es ihr deutlich vor Augen: das Leben als Jurgis Kolitz, als Hermaphrodit. Oder vielmehr sein Sterben, in einem Keller in Teheran. [2]
    Plötzlich kehrte das Wissen in sie zurück - das Wissen um eine ganz besondere Fähigkeit. Als Jurgis hatte sie sie damals gegen fliegende Bestien eingesetzt - so wie auch als Xij. Keine vier Wochen war das her!
    Sie kämpfte sich hoch. Der Oberste Liquidator bemerkte nichts davon.
    Die Beine drohten unter ihr nachzugeben. Noch immer fühlte sie sich schwach und ausgelaugt. Aber sie musste es versuchen. Ihr Ziel war der Daa'muren-Kristall.
    ***
    Aus! Vorbei!
    Matt sah keinen Sinn darin, auf die Prypten zu schießen.
    Er hörte Rulfan ächzen, als die Menschen über sie hereinbrachen. Er wusste nicht, ob sie sie ersticken oder zerquetschen wollten. Die ersten Fäuste flogen, trafen ihn am Kinn, am Jochbein, an der Stirn. Sein Schädel dröhnte unter den Hieben.
    Er ließ den Driller los, um sein Gesicht zu schützen, doch er bekam die Arme nicht hoch. Die Prypten knieten auf seinen Handgelenken und unterbanden jede Bewegung.
    Welche Ironie des Schicksals! Ein Wesen, das zu seinen ärgsten Feinden zählte, rettete ihn vor dem Strahlentod - nur damit ihn kurz darauf ein Mob umbrachte, der den Befehlen eines Betrügers gehorchte.
    Allmählich drohte ihn das Gewicht der Körper zu erdrücken. Ihm blieb die Luft weg, Sterne tanzten vor seinen Augen.
    Und dann, ganz plötzlich, war das Schauspiel vorüber.
    Ein hoher, durchdringender Ton erklang.
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