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295 - Dunkle Wasser

295 - Dunkle Wasser

Titel: 295 - Dunkle Wasser
Autoren: Michelle Stern
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vor, sich zu beeilen, damit er nicht erneut durch die Trance beeinflusst wurde, die über der ganzen Stadt zu liegen schien. Immer wieder dachte er den Namen »Dry'tor«, wie ein Mantra. Es sollte ihn davor schützen, die Gefährlichkeit des Hydriten zu unterschätzen.
    Dry'tor, der schreckliche Herrscher der Meere. Dry'tor, Anführer aller Mar'os-Jünger, verehrt und zum Mythos erhoben, von den Städte-Bünden aller Meere gejagt und zeitweise sogar für tot erklärt. Er galt als einer der größten Kriegstreiber der hydritischen Geschichte, und er war der Inbegriff des bösartigen Mar'os-Anhängers, der die Hydriten Ei'dons unterwerfen wollte. Sein Name kam in den Schreckgeschichten der Junghydriten vor. War er laut Gerüchten nicht auch der Vater Sar'kirs, der Herrscherin, die in Neu-Martok'shimre ihr Ende gefunden hatte?
    Mer'ol erreichte die bionetische Koppel, in der die Qualle vor Angriffen geschützt im Wasser lag. Als Vertrauter des neuen Herrschers stellte ihm niemand Fragen, als er den Durchgang zur Koppel passierte und durch eine bionetische Öffnung, die er rasch aktivierte, in das Innere der Qualle stieß.
    Er musste schlucken, denn er schmeckte das Blut von Fischen. Obwohl es alt war, weckte es die Gier in ihm, und er erinnerte sich an Zeiten, in denen er selbst Fisch zu sich genommen hatte. Seine Tantrondrüse war dadurch vergrößert worden und hatte ihn zu einem unberechenbaren Monster gemacht.
    Erst durch die Hilfe seines Mentors Quart'ol war es ihm gelungen, von diesem Wahn loszukommen und seine Drüse zu verkleinern. Zur Sicherheit trug er ein Medikament bei sich, das Quart'ol ihm gegeben hatte und das die Stimulation der Tantrondrüse für kurze Zeit unterband. Wenn der Hunger zu groß wurde, konnte er dank des Mittels Fisch fressen, ohne sich zu verändern - aber er hatte es nie getan. Die Angst vor einem Rückfall war zu groß.
    Hastig aktivierte er die Qualle und tastete über die zahlreichen Schaltelemente. Wo waren die Aufzeichnungen? Er brauchte eine Weile, bis er fand, was er suchte, und er merkte sich den Punkt auf der Karte gut, der das letzte Ziel der Qualle markierte. Dann schwamm er zurück in Richtung der Stadt.
    Mar'dyk kam ihm entgegen, und Mer'ol fragte sich verunsichert, ob sein Schwimmgang zur Qualle beobachtet worden war.
    Der Vertraute des Herrschers wies mit dem Arm zur Stadt. »Der Herr sucht dich, Mer'ol. Er begeht eines seiner Feste und wünscht dich an seiner Seite.«
    »Ich komme«, klackte Mer'ol. Obwohl er sich alle Mühe gab, sicher zu klingen, konnte er das Zögern in seinen Worten nicht verbergen.
    Mar'dyk sah ihn misstrauisch an. Er blieb an seiner Seite, bis sie den Platz vor dem Eingang zur Throngrotte erreicht hatten. Auf dem Platz war auf Geheiß des neuen Herrn in einer Vertiefung strahlend weißer Sand aufgeschüttet worden, der das rote Licht bionetischer Kugeln streute. Doch von dem Sand war kaum etwas zu sehen. Nur ein langer Gang blitzte auf, ansonsten war der Platz gefüllt mit Hydriten.
    Mer'ol berührte ungläubig seine Stirn. Alle Hydriten der Stadt waren zugegen und trieben ein Stück über dem Grund. Sie bildeten eine Gasse, in der der Herrscher auf und ab schwamm. Seine Bewegungen waren ruhig und gleichmäßig, die Stimme so sanft, als wolle er ein Neugeborenes beruhigen, während er sich vertraulich zu einer jungen Kriegerin beugte. Mit einer huldvollen Geste wandte er sich von der blauschuppigen Hydritin ab und nahm Haltung ein. Der Blick seiner giftgelben Bernsteinaugen wanderte über seine Anhänger.
    Mer'ol versteckte sich am Ende der Menge, möglichst weit vom Herrscher entfernt, und hörte zu, was er zu sagen hatte. Seine Stimme hallte im Wasser, als wolle er sie in alle Meere schicken.
    »Einige sagen, mein Name sei Dry'tor.«
    Mer'ol hatte plötzlich das Gefühl, dass der große Hydrit mit seinen bernsteinfarbenen Augen einfach durch alle Anwesenden hindurchsehen konnte und seine Aufmerksamkeit nur auf ihn richtete. »Vielleicht bin ich das. Vielleicht ist es an der Zeit für Veränderungen.«
    Jubel brandete auf. Die Krieger begannen rhythmisch auf ihre Brustpanzer zu schlagen. Und die, die keinen Panzer trugen, schlugen sich mit den Händen gegen Brust und Bauch. Das Trommeln im Wasser wurde immer lauter und schon wiegten sich erste Hydriten im Takt.
    Obwohl es mit jedem Zug durch die Kiemen lauter wurde, durchdrang die Stimme des Herrschers die Geräuschkulisse mühelos.
    »Ich weiß, es gibt Zweifler. Krieger und Kriegerinnen, die ihre
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