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283 - Der Zorn der Königin

283 - Der Zorn der Königin

Titel: 283 - Der Zorn der Königin
Autoren: Mia Zorn
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umschlang ihre zitternden Knie. Sie hatte damals geschworen, dass diese Dreckskerle ihre Schandtat teuer bezahlen würden.
    Ein bitterer Zug umspielte ihre Lippen. In den grünen Augen spiegelte sich das Rot der verschwindenden Sonne.
    Das neue Kapitel ihres Lebens konnte erst begonnen werden, wenn das alte abgeschlossen war. Kein Einziger der Lords soll am Leben bleiben. Keiner! So lautete damals ihr Schwur!
    ***
    Eine halbe Stunde Fußweg entfernt von dem Fleck, an dem die einstige Queen ihrem Grab entstiegen war, schaukelte an einem Holzsteg das Fischerboot von Meikel und Enna Hingers friedlich im Wasser. Oberhalb davon führte ein steiler Pfad hinauf zur Hütte des Paares. Stille lag über dem Anwesen. Das Tor der Umzäunung stand offen. Von den Wänden der Behausung blätterte der Putz und im kleinen Garten davor wucherte mannshohes Unkraut. Verlassen sah hier alles aus. Als ob sich lange Zeit niemand mehr um Garten und Gebäude gekümmert hätte.
    Und genau so verhielt es sich: Vor fast einem Jahr waren dunkle Schattengestalten hier eingedrungen und hatten die entsetzten Bewohner überrascht. Dass sie sich in den Keller verkrochen, nutzte ihnen nichts; die Schatten saugten ihnen alle Lebensenergie aus dem Körper und verwandelten sie zu Stein. [2]
    Jetzt, nach all dieser Zeit, war das Leben in die Versteinerten zurückgekehrt. Auch Meikel und seine Frau ahnten nicht, was mit ihnen geschehen war. Allerdings erinnerten sie sich, anders als Lady Victoria, die in den letzten Wochen ihres früheren Lebens geisteskrank gewesen war, an ihre letzten Sinneseindrücke.
    »Sind sie weg?«, fragte Enna atemlos und sah sich in der trüben Helligkeit, die durch ein schmales Oberlicht hereinfiel, ängstlich um. Die Öllampe auf dem Tisch war plötzlich erloschen. »Was ist passiert? Eben waren sie noch hier im Raum!«
    Auch Meikel sah sich besorgt um, nahm es aber pragmatischer. »Sieht aus, als hätten sie das Weite gesucht«, brummte er und senkte den Spaten, den er zur Abwehr erhoben hatte. »Lass uns nach oben gehen und nachsehen.«
    Noch immer benommen, tasteten sich die Hingers im Dunkeln die Kellertreppe hinauf. »Wie oft sage ich dir, du sollst die Öllampe nachfüllen«, schimpfte Meikel.
    »Ach, gib doch Ruhe!«, keuchte Enna kurzatmig. Mit einigen Pfunden zu viel auf den Hüften fiel ihr der Weg die Stiegen hinauf schwer.
    Oben in der Stube angekommen schauten sich die Ahnungslosen verwundert um: Spinnweben hingen unter der Decke, auf dem Tisch wucherte Schimmel von den Tellern und das Fenster neben der Tür war zertrümmert. »Gütiger Himmel! Wie sieht es denn hier aus?« Entsetzt schlug die Fischersfrau ihre Hände vor das Gesicht. »Und wo ist Chira?«
    Sie hatten die Lupa von den beiden Reisenden Maddrax und Aruula in Pflege genommen. Als die Schattengestalten ins Haus eindrangen, war das Tier durch das Fenster geflohen.
    Meikel hob ratlos die Schultern. Zögernd schlurfte er zum zerbrochenen Fenster. Glassplitter knirschten unter seinen Sohlen. Wie ein lauschendes Tier verharrte er am Fenster und starrte nach draußen. »Nichts zu hören und zu sehen. Scheinen tatsächlich weg zu sein.«
    Enna beachtete ihn gar nicht. Sie drehte sich im Kreis und rang hilflos die Hände. »Schau dir doch nur die Stube an! Wie kann es sein, dass hier alles so verkommen ist? Waren wir ohnmächtig? Doch wie lange nur?« Hilflos glitt ihr Blick durch den verwahrlosten Raum zu ihrem Mann.
    Der stand immer noch reglos am Fenster und antwortete nicht. »Meikel!«, rief sie aufgebracht. »Meikel, hörst du nicht?«
    Aufreizend langsam wandte sich der Angesprochene um. Sein Grauschopf schimmerte orangefarben in den letzten Lichtstrahlen der untergehenden Sonne. Auf seinem faltigen Gesicht lag plötzlich ein geheimnisvolles Lächeln. Einen Augenblick lang erschien er Enna unglaublich jung. Jung und stark, wie damals, als sie sich das erste Mal auf dem Fischmarkt von Sidemouth begegnet waren.
    »Was auch immer hier geschehen ist, spielt keine Rolle mehr, Enna«, sagte er mit fester Stimme. »Wir werden diesen Ort verlassen. Schon morgen. Nach Osten werden wir gehen.« Seine Stimme klang wie das Rauschen der Baumkronen im Herbstwind und seine braunen Augen schienen zu glühen.
    Osten! Ein leiser Schauer rieselte über Ennas Rücken. Von einem auf den anderen Moment verblassten die Fragen, die sie eben noch beschäftigt hatten, sogar die Sorge um Chira. Das Durcheinander in ihrem Kopf verschwand. Nur noch ein glasklarer Gedanke beseelte
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