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264 - Verschollen

264 - Verschollen

Titel: 264 - Verschollen
Autoren: Mia Zorn und Jo Zybell
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glaubte nicht an Geister, Götter oder Zauberei. Doch was er gesehen hatte, brachte ihn ins Zweifeln. Auch wenn es sich bei dem plötzlich einsetzenden Unwetter um einen Zufall gehandelt haben konnte, erklärte das nicht die unheimlichen Schatten, die wie körperlose Schemen in die Häuser des Dorfes eingedrungen waren. Jennys Tochter hatte sie auch gesehen.
    Neugierig blickte er zu ihrem Lager in der hinteren Ecke seiner Behausung. Das Gesicht der Kleinen wirkte blass im fahlen Licht der Öllampe, doch sie schlief tief und fest. Sie war das Ebenbild ihrer Mutter. Nur das Blau ihrer Augen war eine Spur dunkler. Und wenn sie wütend war, leuchteten sie fast türkis.
    Nach ihrer Ankunft in seiner Höhle hatte sie ihm bittere Vorwürfe gemacht, dass er einfach davongelaufen sei. Feiger Dreckskerl hatte sie ihn genannt. Dann war sie wieder in Tränen ausgebrochen.
    Fletscher hatte gar nichts gesagt. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu seiner Bettstatt. Dann zog er ihr Mütze und Mantel aus, wickelte sie in ein Fell und strich ihr unbeholfen die Locken aus dem tränennassen Gesicht. Später mischte er ihr ein paar von seinen Schlaftropfen in einen Wasserbecher. »Wird schon wieder«, sagte er und reichte ihr den Becher. Doch sie hatte ihn erst geleert, als er ihr versprach, gleich am nächsten Morgen mit ihr ins Dorf zurückzukehren.
    Selbstverständlich würde er das nicht tun. Er würde alleine nachsehen, was mit seiner Jenny geschehen war. Jenny! Seufzend umklammerte er den Knüppel. Wieder durchpflügten die Bilder der vergangenen Ereignisse sein Hirn. Er war selbst zerknirscht darüber, ihr nicht zur Hilfe geeilt zu sein. Aber dort auf der Weide war sein einstiger Soldateninstinkt erwacht. Er wusste einfach, dass die Situation ausweglos war. Also hatte er sich die Kleine geschnappt und hierher gebracht. Jetzt konnte er nicht mehr beurteilen, ob er falsch oder richtig gehandelt hatte.
    Ungeduldig streifte sein Blick über die Öffnung des Höhlenzugangs. Wann endlich wurde es hell? War der unheimliche Gegner noch im Dorf? Sollte er sich jetzt schon auf den Weg machen?
    Seltsame Geräusche von draußen entledigten ihn einer Antwort. Es klang nach scharrenden Schritten. Fletscher schnellte in die Höhe. Nur mit Mühe unterdrückte er das Bedürfnis, zum Eingang zu stürmen. Seine Höhle lag zwölf Fuß über dem Erdboden in einer felsigen Wand des Waldhanges. Sie war gut getarnt von den Baumkronen der Kiefern und nur über eine Strickleiter erreichbar. Die lag im Augenblick aufgewickelt zu seinen Füßen. Es musste schon mit dem Teufel zugehen, wenn jemand sie hier oben entdeckte.
    Doch waren die Schatten, die er gestern in Corkaich und zuvor auf dem Meer gesehen hatte, nicht genau das: teuflisch? Fletscher presste die Lippen aufeinander. Konzentriert horchte er.
    Das Scharren kam näher. Zwischen dem Rascheln der Baumkronen und dem Heulen des Windes vernahm er deutliche Schritte unterhalb der Höhle. Für einen kurzen Augenblick verebbten die Sturmböen. Schnee knirschte. Da! War das nicht ein Kratzen am Fels?
    Entsetzt starrte er in die Dunkelheit hinter dem Höhleneingang. Noch fester umklammerte er den Knüppel in seinen Händen. Jeder Muskel seines Körpers war zum Bersten angespannt. Er war ein Kämpfer, ein hartgesottener Bursche. Er konnte es mit einer Überzahl an Gegnern aufnehmen. Doch Schattenwesen, die nicht von dieser Welt schienen, brachten ihn ins Wanken. Sie erstickten jede Kampftaktik im Keim. Lösten schrecklichste Angstphantasien aus und trieben Fletscher den Schweiß aus den Poren.
    Der einstige Major schloss die Augen. Gott, wenn es dich wirklich gibt, lass sie nicht hier rein! , betete er still. Von draußen ertönte nun ein kehliges Keuchen. Dann wurde es kurze Zeit still, bevor wieder das Knirschen im Schnee zu hören war. Schließlich entfernten sich scharrende Schritte und nur noch die Geräusche des Windes drangen ins Innere der Höhle.
    Fletscher riss die Augen auf. Sie ziehen sich zurück! Wie ein nasser Sack sank er zu Boden und dankte Gott, dem Universum und sich selbst für die Weisheit, dieses Felsennest als Unterschlupf gewählt zu haben.
    Noch lange saß er da und lauschte. Als auch nach Stunden nichts Verdächtiges mehr von draußen zu hören war, stand er auf, suchte die Stablampe, die er vor Wochen mit einem Schmuggler gegen eine Flasche selbstgebrannten Gin getauscht hatte, und steckte sie in seine Manteltasche. Dann weckte er die Kleine. »Hier, trink noch was!« Er hielt
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