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2586 - Die Sektorknospe

2586 - Die Sektorknospe

Titel: 2586 - Die Sektorknospe
Autoren: Wim Vandemaan
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Pforte. Das SERUN- Visier stellte scharf.
    Im Inneren der Eissäule glomm es nun ebenfalls golden auf. Einzelne Funken bildeten sich dort, rotierten um die eigene Achse, stiegen, fielen, ein zielloses Chaos.
    Als aber immer mehr Funken dazukamen und ihr Leuchten sich intensivierte, kam allmählich eine gewisse Ordnung in den Wirbel. Die Funken sortierten sich wie zu einem Schwarm, der erst langsam, dann schneller seine Kreise zog und dabei schwach, aber deutlich genug als Spirale erschien.
    Es war kein Vergleich zu der früheren Erscheinungsweise von ES, eher etwas wie eine Skizze seiner selbst, eine blasse Erinnerung, und es war doch ein Lebenszeichen.
    »Wer ist das?«, fragte Diamond. Ihre Stimme hatte einen Beiklang, der Rhodan aufhorchen ließ. Auch Mondra hatte alle Aufmerksamkeit auf die Veränderung in der Säule gerichtet.
    Sie hatte recht. Da ging noch etwas anderes in der Säule vor. Die Spirale schien sich nun um einen schattenhaften Umriss zu drehen, die Silhouette einer Gestalt. Diese Gestalt näherte sich aus offenbar unendlicher Entfernung, einer Ferne, die sich nicht hinter der Säule auftat, sondern auf unbegreifliche und paradoxe Art in der Säule sich erstreckte wie ein zentraler Abgrund.
    Rhodan kniff die Augen zusammen; das Visier bemerkte sein Bemühen und fokussierte stärker, doch die Silhouette wurde dadurch nicht deutlicher.
    Allerdings kam sie näher, stieg aus dem linearen Abgrund auf, bewegte sich auf sie zu, und sie bewegte sich menschlich. Rhodan meinte die Beine zu sehen, die Arme, den Kopf.
    Er hörte Mondra schlucken. Ihm kam die Gestalt auf unerklärliche Weise vertraut vor, wie das Bild eines Bekannten auf einem uralten Fotonegativ. Er müsste die Gesichtszüge umkehren, spiegeln, ihnen andere Farbwerte zudenken als dieses eisige Weiß des Gesichtes, dieses eisige Weiß des Bartes.
    »Er ist es, nicht wahr?«, fragte Mondra, und Rhodan gab es auf, sich gegen den Eindruck zu wehren. »Ja«, sagte er. »Das ist er. Delorian.«
    Das war Delorian, ihr gemeinsamer Sohn, wie er aussähe, wenn er normal gealtert wäre, wenn er zu einem Greis geworden wäre als Chronist im Dienst der Superintelligenz.
    Rhodan spürte den Drang, zur Säule zu gehen, Delorian näher zu sein. Er war sich sicher, dass es Mondra ähnlich ging. Woher die Scheu, die sie beide daran hinderte? War es bloß die Anwesenheit von Julian Tifflor? Oder das Gefühl der Unverhältnismäßigkeit, das darin lag, wenn zwei körperlich so junge Eltern auf ihr greisenhaftes Kind zueilten? Oder sogar ein Gefühl von Schuld? Immerhin waren er und Mondra Delorian gegenüber so ziemlich alles schuldig geblieben, was normale Eltern ihren Kindern mitgaben.
    Ein monströser Donnerschlag aus der Richtung der Krathvira löste ihn aus dem Bann. Er wandte sich ab. Wo eben noch die Krathvira gelagert gewesen waren, explodierten goldene Glutbälle, ein ganzer Kugelsternhaufen von Miniatursonnen.
    Die eisigen Äste, die aus der Kuppelhalle herausgewachsen waren, lösten sich in schiere, langsam pulsierende Energie auf, die in einem satten Goldton strahlten. Sie saugten die wenige Meter großen Sonnen in sich hinein und pumpten sie Richtung Eissäule.
    Bilder, nur Bilder, dachte Rhodan. Eine für unsere Augen vereinfachte Zeichnung dessen, was hier wirklich geschieht.
    Da und dort taute das Eis, verdampfte geradezu. Ein jäher Frühling brach sich Bahn. Einige der Feuerbälle zerplatzten in goldene Fontänen; Funkenregen ging nieder, berührte den Boden, rann in goldene Pfützen zusammen, aus denen sich im nächsten Moment gläserne Schmetterlinge erhoben, die zwei-, dreimal mit den großen Flügeln schlugen und dann verwehten wie ein Nebelphantom. Die Spiralzeichnungen ihrer geisterhaften Flügel waren das Letzte, was bis zu ihrem endgültigen Verlöschen sichtbar blieb.
    Schlagartig war der falsche Frühling wieder vorbei. Das goldene Leuchten verblasste. Von den Krathvira war nichts mehr zu sehen.
    Allerdings blieb ein Teil des Eises verschwunden. Erstmals vernahm Rhodan wieder das untergründige Summen der Maschinenstadt.
    Dann erklang das Gelächter von ES.
    Rhodan spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
    *
    Es war ein freudloses Lachen, gebrechlich und gegenstandslos, wie das Kichern eines Greises, der sich in Kindheitserinnerungen verloren hatte, die niemandem zugänglich waren als ihm selbst. Ein Lachen aus einer untergegangenen Welt.
    »Julian Tifflor«, sagte eine Stimme, von der Rhodan nicht sagen konnte, ob er sie
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