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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Autoren: Karl May
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überzeugt, daß er Besseres, Edleres und Höheres erreicht hätte als alles, alles das, was hier auf diesen beschriebenen Blättern zu lesen ist. Möchte er doch nicht gestorben sein, sondern nur schlafen, um wieder erwachen zu können!“
    „Ob er tot ist oder nur schläft, das wünsche ich, jetzt mit dir erfahren zu können. Ich will dir erzählen, wie er entstand und wie er von mir ging. Es wird keine lustige Geschichte sein.“
    „Geschichte? Auf keinen Fall! Ist er tot, so hältst du seine Leichenrede. Gleicht er aber jenem Nichtverstorbenen, von welchem Christus sagte: unser Freund schläft, so wird es keine Erzählung sondern eine Auferweckung sein. Da stehen wir vor der Tür des Raums, in welchem du erzählen willst. Mir ist, als ob in mir jene Stimme klinge, welcher im Besitz des Höchsten, der da lebte, die Macht über den Tod gegeben war: Lazare, komm heraus!“
    Da legte er seinen linken Arm um meine Schulter und drückte mich an sich. Ich schlang meinen rechten warm um ihn, und so traten wir beide hinein, innig vereint, als ob wir eine und dieselbe Person bedeuteten.
    Er stellte die Lampe auf den großen Tisch, führte mich zu einem Sitz, auf den ich mich niederließ, schob die beiden Hände in die Gürtelschnur und ging dann eine ganze Weile schweigend auf und ab. Hierauf lehnte er sich mit dem Rücken an den Tisch, so daß der Lichtschein sein Gesicht nicht traf, und sagte:
    „Höre meine Einleitung Effendi!“
    Ich nickte. Da begann er:
    „Die Geschichte einer jeden Anbetungsform hat eine Zeit des Martyriums, der Verfolgung und des Glaubens willen, aufzuweisen. Ich meine hier die Verfolgung mit der Todeswaffe. Wenn dem Religionshaß diese Waffe entzogen worden ist, zieht er sich, rachsüchtig grollend, in den Schutz seiner Lehrsätze zurück, um aus ihnen heraus, die er für uneinnehmbare Mauern hält, auch fernerhin die Andersgläubigen nach Möglichkeit zu schädigen. Es gibt wohl nur wenige Breitengrade der festen Gotteserde, welche nicht die Spuren davon tragen, daß der Mensch keine andere Verehrung Gottes als nur die seinige dulden will, obgleich es doch wohl allein Gottes Sache wäre, zu bestimmen, in welcher Weise der Mensch zu ihm zu sprechen habe. Dieser aber ist so verwegen, dem Herrn vorzuschreiben, was er zu dulden oder nicht zu dulden habe, und wenn die Berechtigung zu dieser Vorschrift von irgendeinem andern angezweifelt wird, so ist man schleunigst mit der Behauptung da, daß sie ja Gottes eigene Offenbarung sei. Im Besitz dieser Offenbarung gebärdet man sich, als ob man den Himmel mit seiner ganzen Seligkeit in Pacht genommen habe und nun ganz nach eigenem Gutdünken am Eingang zu demselben eine Warnungstafel anbringen müsse, auf welcher in den drohendsten Worten zu lesen ist: ‚Der Zutritt ist nur solchen bevorzugten Personen gestattet, welche mit einer eigenhändig unterschriebenen Erlaubniskarte seiner Pächterlichen Hochgnaden versehen sind. Wer ohne diese Bescheinigung hier einzudringen wagt, der wird augenblicklich mit dem leiblichen, geistlichen und ewigen Tod bestraft!‘ – – – Hast du gegen diese meine Ausführung etwas einzuwenden, Effendi?“
    „Soll ich aufrichtig sein?“ fragte ich.
    „Ich fordere es von dir!“
    „So wisse: Du stehst als Personifikation deines Lebens, von dem du jetzt erzählen willst, vor mir. Es ist ein individuelles Leben. Deine Ansichten sind die Ergebnisse desselben. Ich habe sie also als individuelle Meinungen zu betrachten, nicht aber als Gottesbotschaften, die für mich maßgebend sein sollen. Ich bin, wie ich hoffe, ein vernünftiger Mensch. Als solcher habe ich nicht nur den ernsten Fleiß zu achten, mit welchem du nach Erkenntnis strebtest, sondern auch die Früchte dieses Fleißes, die du so aufrichtig bist, mir vorzulegen. Ich weiß, daß du mich nicht zwingen willst, sie zu genießen, und habe also nicht den geringsten Grund zu einem Lob oder Tadel. Sprich also ruhig weiter!“
    Wahrscheinlich hatte er eine andere Antwort erwartet. Er sagte es aber nicht, sondern fuhr gleich fort:
    „Hast du vielleicht einen solchen angeblich von Gott gepachteten Himmel kennen gelernt? Ich nicht nur mehrere, sondern viele. Wie sonderbar, daß sie einander alle so außerordentlich ähnlich sind! Und weißt du, was so ein allgewaltiger Vertreter Gottes für die Pacht bezahlt? Was von dem ihm gebrachten Weihrauch übrig bleibt, das schickt er dem Herrn hinauf. Weiter nichts! Und nachdem er sämtliche Verneigungen und Verbeugungen für
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