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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Autoren: Karl May
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habe. Ich ging augenblicklich hin und bat um die Erlaubnis zu einer Exkursion auf dieses geisterhafte Gebiet. Man kann sich denken, wie enttäuscht ich war, als sich bei der sehr eingehend vorgenommenen Okularinspektion keine einzige meiner sehr hoch gespannten Erwartungen erfüllte! Der Herr Rektor sah mir meine Betrübnis an und fragte nach dem Grund. Ich teilte ihm denselben aufrichtig mit. Da lachte er und sagte: „Mein lieber Junge, das wirkliche Astrallicht strahlt von Stern zu Stern durch den ganzen Himmelsraum, damit es alle Welt im Geist des Herrn erleuchte. Der Name dieses irdischen Lämpchens aber wurde vom Himmel herabgestohlen, damit der Klempner die Herrlichkeit Gottes zwingen könne, sich für ihn und seinesgleichen in ein gutes, einträgliches Geschäft zu verwandeln.“ Da fiel ihm ein, daß meine Fassungskraft doch nicht der seinigen gleiche. Darum fuhr er fort: „Wenn du im Leben die Augen auch fernerhin so offen hältst wie jetzt, so wirst du das, was ich jetzt sagte, begreifen lernen. Dieser Klempner ist nicht der einzige Mensch, dem der Herrgott ruhig herzuhalten hat. Es gibt noch ganz andere Kostgänger, die von dem wohlgedeckten Tische des Himmels speisen, obgleich ihre Berechtigung dazu nur eine angemaßte ist. Im göttlichen Astrallicht wandeln nur erhabene Geister. Im Licht dieser Lampen aber sonnen sich meist nur die winzig kleinen Geisterlein, welche sich bei dem Öl des Rübsamens und des Rapses einbilden, von ihrem Tisch aus das ganze All ergründen zu können. Und wenn sich ja einmal ein bedeutender Mann an diesem Tisch niedergelassen haben sollte, so stehen Tausende der Kleinen auf der Lauer, ihm selbst auch diese Lampe auszublasen!“
    Ich verstand dieses letztere ebensowenig wie das Vorhergehende; aber das Leben hat mich dann gelehrt, den alten, erfahrenen Rektor zu begreifen. Und als ich nun hier im hohen Haus vor der Lampe des Ustad stand, da war es mir, als ob es ein vielgestaltiges Weben von lauter, lauter Geisterwinzigkeiten um mich her gebe und als ob eine unsichtbare, hundertstimmige Schadenfreude mir in die Ohren raune: „Da steht sie noch, die wir ihm ausgeblasen haben. Wir dulden Geister, aber keinen Geist!“
    Ich nahm sie vom Tisch weg um die beiden Nebenräume anzusehen, welche rechts und links an dieses Zimmer stießen. Der eine war zum Schlafen bestimmt. Ein weiß überzogenes Bett. Ich fühlte das Leinen an und war geneigt, es für europäisches zu halten. Die Wände zeigten keinen andern Schmuck als nur ein einziges, primitiv eingerahmtes Bild von sehr bescheidener Größe. Es hing der Fensterseite gegenüber. Als ich die Lampe hoch hielt, um es zu betrachten, sah ich, daß es eine mit großer Liebe ausgeführte Federzeichnung war und eine auf Bergeshöhe stehende kleine Dorfkirche vorstellte. Es handelte sich hier augenscheinlich nicht um ein Werk der Phantasie, sondern dieses Gotteshäuschen war ohne allen Zweifel hier nach der Wirklichkeit wiedergegeben. Unter dem Bild standen einige geschriebene Zeilen. Ich las:
    „Kirchlein mein, Kirchlein klein,
Könnt so fromm wie du ich sein!
Deine Höhe zu erreichen,
Will ich dir an Demut gleichen.
Kirchlein mein, Kirchlein klein
So wie du will stets ich sein!“
    Wer hatte das geschrieben? Und für wen war es geschrieben worden? Wenn der Schreiber ein Dichter war, so hatte es ihm hier sehr fern gelegen, mit seinem Geist zu prahlen. Wo gäbe es wohl einen Menschen, der einem gottgeweihten Haus gegenüber sich nicht klein zu fühlen hätte! Selbst der größte der Dichter würde wissen, daß er dem prunkenden Reim zu entsagen habe, falls er im Geist zur Kirche gehen wolle. Der wirklich Größte wird hier am kleinsten sein.
    Der Raum, den ich nun betrat, war die Bibliothek. Ihr Vorhandensein konnte mich nicht überraschen, obgleich nicht anzunehmen war, daß Pekala, die von den Büchern des Ustad gesprochen hatte, hier oben nach Belieben schalten und walten dürfe. An allen vier Wänden gab es hohe Stellagen, welche mit Büchern, Karten und wohlumschnürten Paketen gefüllt waren. Diese letzteren lagen nach Jahren und Monaten geordnet, und ihre Aufschriften sagten mir, daß sie Briefe enthielten. Es gab auch mehrere am Boden stehende, offene Kästen, welche bis an den Rand mit Briefen oder Zeitungen gefüllt waren. In der Mitte des Zimmers stand ein ungewöhnlich großer Tisch. Er war mit Büchern, Karten und Schriftstücken belegt und sehr bequem für einen geistig arbeitenden Mann, der es liebt, viel Platz zu
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