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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die ganze Ruinenseite des Tales verhüllte und sich dann in der Weise weiter verbreitete, daß wir nur mit Vorsicht atmen konnten. Die Atmosphäre wurde in solcher Höhe und Weite von diesem Staub erfüllt, daß noch einige Tage später der Bergwald am äußersten Ende des Sees aus Grün in Grau verwandelt lag. Das Auftreffen der Lawine hatte eine Bodenerschütterung zur Folge, die als Zittern weiterlief und von einem Geräusch begleitet wurde, als ob ein Kegeljunge alle seine Kugeln auf der Laufrinne hinunterrollen lasse.
    Obgleich wir auf dieses Ereignis vorbereitet gewesen waren, konnten wir uns dem Eindruck seiner elementaren Gewalt doch nicht entziehen. Wie mußte es da erst bei denen wirken, die es unerwartet traf! Wir sahen das zwar nicht, aber wir hörten um so mehr. Das war kein Lärm, der zu uns heraufdrang, sondern ein überlaut zeterndes Getöse. Menschliche Stimmen erschallten in jeder Klangfarbe des Entsetzens. Pferde wieherten überall, aber in einer mir bisher ganz fremden Weise. Kamele brüllten; Hunde heulten. Auch im Wald wurde es laut. Die ganze Tierwelt, die zahme und die wilde, schien sich in der größten Aufregung zu befinden. Wir mußten hin zum Aschyk eilen, weil unsere Pferde durchgehen wollten.
    Als wir sie beruhigt hatten und wieder an unsern Platz kamen, stieß der Ustad einen Ruf der Überraschung aus, indem er dort hinüber deutete, von woher die Lawine gekommen war. Auch wir staunten, Kara und ich. Die Staubwolke hatte nicht bis zur Bergkuppe steigen können, und hier bei uns begann sie, dünner zu werden. Darum sahen wir zwischen den beiden Wegen, welche die Moräne genommen hatte, einen freien, nackten, starken Felsarm weit in die Luft hinausragen, in dessen gewaltiger Faust die glänzend weiß blinkende Alabasterkrone ruhte. So, genauso hatte ich es mir gedacht, als ich mich zum ersten Mal auf dem See befand. Meine damalige Idee war also keine schnell und spurlos zerplatzende Gedankenblase gewesen!
    Wie da drüben die eine Lawine niedergegangen war, so schickte sich nun auch die andere, die kriegerische, an, zu Tal zu rollen. Überall, wo der Staub es nicht verhüllte, sahen wir, daß die Dschamikun die Höhen verließen, um in die von der Katastrophe unterbrochene Aktion einzugreifen. Es war vorherbestimmt worden, daß sie nach den ersten Kanonensalven sich unter guter Deckung an die Schatten machen sollten, um sie unter ihr Gewehrfeuer zu nehmen, welches bei den hier gegebenen Verhältnissen denselben Erfolg haben mußte wie ein Hagelwetter auf ein schutzlos stehendes Feld. Dann hatte die zu beiden Seiten des Duar versteckte Reiterei hervorzubrechen, um die Übriggebliebenen niederzurennen oder, einer unheilvoll wirkenden Schaufel gleich, in den See zu werfen.
    Wir erwarteten, daß das Schnellfeuer dieser Tausenden von Schützen jetzt beginnen und mit seinem ununterbrochenen Rollen jedes andere Geräusch verschlingen werde, bekamen aber nichts zu hören als das dumpf herauftönende Stampfen eilig laufender Pferde. Kein Schuß wollte fallen, weder aus einer Kanone noch aus einem Gewehr. Was war das? Welchen Grund hatte dieses für uns rätselhafte Schweigen?
    Unser Freund, der Morgen, beantwortete uns diese Frage. Wie vorher in die Nebel, so fuhr er mit seinem Wind nun auch in die Staubwolke. Er trieb sie vom See hinweg nach dort, woher sie gekommen war, nach den Ruinen, und drückte sie derart gegen die Felsenwand, daß sie zu ersticken begann. Das Tal lag infolge dessen vollständig frei vor unseren Augen, und da erkannten wir, daß uns unser so wohlüberlegter Plan auf das gründlichste verdorben worden war. Wir sahen einander an und wußten nicht, ob wir lachen oder uns ärgern sollten.
    Wie lächerlich von uns, geglaubt zu haben, daß die Schatten unter dem Schutz des alles verhüllenden Staubs unseren Kanonen standhalten würden! Sie waren nämlich gar nicht mehr da, diese unsteten, schreckhaften Memmen! Wo Lawinen stürzen, bleiben nur herzhafte Männer stehen, nicht aber feige Gesellen, denen das Rückgrat fehlt! Wie aber war das gekommen? Und wie hatte es geschehen können, daß eine so dicht zusammengedrängte Menge sich zu entfernen vermochte, ohne unter sich selbst auch nur eine Spur von Verwirrung anzurichten? Oh, sehr einfach und leicht! So kompakt sich ihre Masse vorerst zusammengeschoben hatte, es war doch schnell, sehr schnell Platz geworden. Die Hintertreffen hatten gleich bei den ersten Kanonenschüssen das Weite gesucht, denn für eine so grobe Behandlung ist

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