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220 - Die Reise nach Taraganda

220 - Die Reise nach Taraganda

Titel: 220 - Die Reise nach Taraganda
Autoren: Ronald M. Hahn
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konnte es kaum fassen. »Ähm.« Er hüstelte. »Mein Vater hat Karl May verehrt. Den kennste doch? Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Ibn Abu…«
    »Gesundheit.«
    Ostwald verstummte. »Sind wir fertig?« Er schaute aus dem Fenster in den Abend hinaus.
    Das Schneegestöber war noch schlimmer geworden. Auf der Straße drehten die Räder der Fahrzeuge durch. »Wenn ich heute Nacht fliegen soll, muss ich noch ‘n paar Probleme lösen.« Vor allem, wie ich bei diesem Sauwetter zum Flughafen komm.
    »Sieh zu, dass du Land gewinnst«, sagte Dietherr. »Der Pilot erwartet dich am Schalter von Air Berlin. Halt die Ohren steif. Hol mein Kind da raus und tritt Hadibi in die Eier.« Er legte auf.
    Ostwald blieb am Fenster sitzen und dachte nach. Er hatte noch vier Stunden. Zeit genug, sich umzuziehen und seinen Kram zu packen. Doch reichte die Zeit noch, um mit Matt ein Bierchen zu zischen?
    Kommt Zeit, kommt Rat, dachte er. Und: Eins nach dem anderen. Er ging ins Schlafzimmer, zog sich um und packte seinen Einsatzkoffer. Als er das Haus verließ und am Nordtor vorbei in Richtung Haupttor ging, wehte nasser Schnee in sein Gesicht. Auf dem Bürgersteig lag er dreißig Zentimeter hoch. Zum Glück war es nicht kalt: Ostwald trug keinen Mantel. Viele im Schnee stecken gebliebene Autofahrer hatten ihr Fahrzeug verlassen, standen auf der Straße herum und artikulierten ihren Zorn auf den Staat. Alle hofften, dass die Feuerwehr die Welt schnell wieder in Ordnung brachte: Niemand hatte Lust, die Nacht hier zu verbringen.
    Je weiter Ostwald ging, umso stärker wurde der Wind. Als das Haupttor des Luftwaffenamtes auftauchte, musste er sich gegen einen Sturm stemmen. Hinter den Butzenscheiben der Kneipe: heimeliges Licht. Parkende Autos verschwanden unter hohem Schnee. Außer den beiden blau bemäntelten und behelmten Wach-Willis am Tor waren kaum Menschen auf der Straße zu sehen. Wer sich bei diesem Wetter im Freien aufhielt, sorgte sich um sein Fahrzeug: Die Ecke hier war gefährlich; wer bei diesem Schneetreiben ins Schleudern geriet, konnte leicht auf ein parkendes Auto knallen.
    Die Kneipentür ging von allein auf. Ein halbwüchsiger Irokese, der »Nights in White Satin« sang, taumelte triefäugig ins Freie, rutschte aus und fiel aufs Fressbrett. Ostwald bückte sich, um ihm aufzuhelfen, doch er hatte die Schulter des Knaben kaum berührt, als er an sein Kreuz denken musste und eine Verwünschung ausstieß.
    »Is ja gut, Opa…« Der Irokese rappelte sich auf. »Es ist die gute Absicht, die zählt.« Er winkte Ostwald zu und verschwand im Blizzard.
    Ostwald schaute hinter ihm her, bis ihm einfiel, dass er ein Ziel hatte. Er betrat das Lokal.
    Der Tresen war besetzt. Die meisten Tische waren frei. Stimmengewirr. Qualmwolken. Gläserklirren. Aus dem Radio hinter der Theke kamen vertraute Töne: »Nä, wat wor dat froher en superjeile Zick; mit Träne in d’r Auge luhr ich manchmohl zurück. Bin isch hück op d’r Roll nur noch half su doll, doch hück Naach weiß isch nit, wo dat enden soll.«
    Commander Drax saß, zivil gekleidet, am Fenster vor einem großen, fast leeren Glas Kölsch und lächelte vor sich hin. Als Ostwald an seinen Tisch trat, schaute er verblüfft auf. »Mann, Omar, du hast aber abgenommen.«
    »Zwanzig Kilo.« Ostwald nickte, nahm Platz und klopfte auf seinen Bauch.
    »Alles in Ordnung mit dir?« Drax winkte der Wirtin, und Ostwald zeigte ihr mit der Hand, dass er das Gleiche trinken wollte wie sein Gegenüber.
    »Von der Bandscheibe abgesehen? Eigentlich schon.« Ostwald steckte sich eine Zigarette an. Die Wirtin brachte ihm ein Bier. Er prostete Matt zu. Beide Männer tranken einen Schluck, dann lehnte Ostwald sich zurück. »Wie geht’s dir, Matt? Bist du noch in Berlin? Bei dieser bunten Truppe? Verkehrt ihr noch in der Pinte am Savignyplatz? Wie heißt sie noch mal?«
    »Zwiebelfisch.« Drax nickte. »Und du, Omar? Was treibst du seit deinem Ausscheiden?«
    »Ausscheiden ist gut.« Ostwald grinste ironisch. »Die Bürokratenärsche haben mir den Stuhl vor die Tür gesetzt.« Er zuckte die Achseln. »Kampfpiloten mit Bandscheibenvorfall brauchen die nicht. Sie haben mir angeboten, ‘n Schreibtisch zu fliegen, wie die Kissenfurzer im Luftwaffenamt.« Er warf einen Blick aus dem Fenster. »Aber das war nix für mich.« Er räusperte sich. »Eigentlich war schon das Offiziersdasein nichts für mich. Ich weiß gar nicht, wie ich da rein geraten bin.«
    »Du wolltest fliegen, und da war das Offiziersdasein so
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