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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
Autoren: Karl May
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und lieb! Ich will lieber unter Geistern als in der Nähe einer solchen Frau sein, vor der man sich wie vor den Gerippen des Todes fürchten muß!“
    „Dein Mut scheint beispiellos zu sein!“ bemerkte ich.
    „Das sagst du jetzt, in einigen Tagen aber nicht mehr! Ich habe meine Pflicht getan und sie ausforschen wollen; aber sie hat das Aussehen einer Leiche und ist stumm wie das Grab. Auch du wirst nichts von ihr erfahren!“
    Wie gern hätte ich gewußt, worauf sich dieses Ausforschen bezog; aber eine Bemerkung oder Frage meinerseits hätte mich sehr leicht in die Gefahr gebracht, meine vollständige Unkenntnis zu verraten, darum schwieg ich lieber und zog es vor, den Inquirenten zu spielen:
    „Du hast fremde Leute mit ihr sprechen lassen?“
    Er schwieg.
    „Und Geschenke dafür angenommen?“
    Er sagte auch jetzt noch nichts.
    „Sprich! Du hörst, daß ich dich frage!“
    „Ja, ich habe es getan“, gestand er. „Du wirst es auch tun, wenn auch nicht gleich in den ersten Tagen. Die fürchterliche Langeweile wird dich packen, so wie sie mir die Seele dehnte, und dann wirst du auch froh sein, wenn einmal eine Unterbrechung kommt. Ich bin unendlich glücklich, aus dieser Einsamkeit und von diesem Umgang mit der wandelnden Leiche erlöst zu sein! Wirst du mich anzeigen?“
    „Nein, ich lasse keinen Kameraden bestrafen.“
    „Ich danke dir! Wann darf ich fort?“
    „Wann du willst.“
    „Nun, dann so bald wie möglich!“
    „Vorher aber mußt du mir den Posten übergeben, so, wie du ihn übernommen hast.“
    „Das werde ich sofort und sehr gern tun. Übernommen habe ich nur die Frau. Die Hamawandi-Kurden, welche der Scheik schickte, gehen uns eigentlich nichts an; ich werde aber auch sie dir zeigen.“
    „Wie verhalten sie sich?“
    „Stolz und still. Es fällt ihnen nicht ein, die Forderung des Scheiks zu erfüllen und, nur weil sie ohne sein Wissen sein Gebiet betreten haben und in seine Hände geraten sind, ihm ihre Freiheit mit zweihundert Gewehren zu bezahlen. Sie würden sich dadurch teilweise entwaffnen und also den Dawuhdijehs gegenüber schwächen. Sie sind überzeugt, daß ihre Leute kommen, um sie herauszuholen. Ich bedauere sie des Loches wegen, in dem sie mitten im Kote und Unrat so lange stecken müssen.“
    „Du weißt natürlich auch, wer sie sind?“
    „So gut wie du. Der Scheik konnte mir es doch nicht verheimlichen. Daß Jamir unter einem falschen Namen hierhergekommen ist, war eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit von ihm. Ein so berühmter Anführer muß stets und überall gewärtig sein, erkannt zu werden. Das mußte er sich sagen!“
    „Du tadelst ihn und hast ihn doch selbst auch auf dem Gewissen!“
    „Ich?“
    „Ja.“
    „Inwiefern?“
    „Hättet ihr nicht das Gerücht ausgestreut, daß die Alte Wunder tue, so wären nicht so viele Leute und wäre auch er nicht gekommen!“
    „Das haben die Dawuhdijehs auf ihre eigene Rechnung getan; ich habe es ihnen nicht geheißen.“
    „Aber geduldet hast du es?“
    „Weil der Anteil an den Geschenken, den ich bekam, die einzige Einnahme war, die ich hier hatte. Du weißt ja selbst, wie es mit unserem Sold steht. Wir bekommen ihn so selten. Und da man denn doch leben muß, ist man gezwungen, sich auf irgendeine Weise eine Einnahme zu sichern.“
    „Die Frau hat aber, wie ich vermute, doch nicht gewußt, daß sie für eine Krankenheilerin und Wundertäterin gehalten wird?“
    „Nein. Davon erfuhr sie nichts.“
    „Wie hat sie da mit den Leuten verkehren können, ohne es zu erfahren?“
    „Wir ließen sie in dem Glauben, daß diese Leute wünschten, sie solle für sie beten. Sie durfte zu ihnen an das Tor, doch nicht mit ihnen sprechen. Da legte sie ihnen die Hände auf und betete. Das war alles, was geschah. Ist es dir recht, daß ich sie dir jetzt zeige?“
    „Ja. Kennst du ihren wirklichen Namen?“
    „Nein. Es ist mir verboten, nach ihm zu fragen. Du?“
    „Ja, ich kenne ihn.“
    „So bist du tiefer eingeweiht als ich; du bist aber auch nicht vom Kaimakam, sondern vom Pascha selbst gesandt. Darf ich ihn von dir erfahren?“
    „Nein. Da du ihn nicht weißt, darf ich ihn dir nicht sagen.“
    „So kommt! Sie ist hier oben.“
    Jetzt hatte ich den Wunsch, daß Marah Durimeh mich nicht erkennen oder, falls es doch geschehen sollte, dies durch nichts verraten möge. Er führte mich noch eine Treppe höher. Da gab es eine aus Bohlen zusammengesetzte, starke Tür, die durch zwei Querbalken festgehalten wurde. Er entfernte diese
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