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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
Autoren: Karl May
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stieg einige Stufen zur in den Turm führenden Tür hinauf; ich folgte ihm. Rechts gab es zunächst eine Treppe mit sehr zerfallenen Stufen, weiter hinten einen Eingang, welcher mit einer alten Decke verhangen war. Die vordere Hälfte der linken Seite wurde von dem Lehmboden gebildet, auf welchem einige lange Baststricke lagen; wozu sie dienten, das erfuhr ich nachher. Dann gähnte ein großes, tiefes, viereckiges Loch, über welchem ein widerlicher Duft von Moder und Fäulnis schwebte. Der Kurde deutete nach dem Vorhang, wobei er sagte:
    „Dort ist der Mülasim. Soll ich mit zu ihm gehen?“
    „Nein. Warte draußen im Hof, bis wir hinauskommen. Ich bin gesandt, ihn abzulösen; er wird euch das dann sagen. Die Paschas von Kerkuk und von Suleimania sind zornig darüber, daß ihr den Mund der alten Hexe nicht zu öffnen versteht. Das muß nun anders werden! Habt ihr denn kein Geschick, mit einem alten Weib umzugehen?“
    Der lange Mensch knickte unter diesen Worten verlegen zusammen und brachte stotternd die Entschuldigung hervor:
    „Bedenke, o Jüsbaschi, daß sie eben eine Zauberin ist! Sie kann sich für jede Beleidigung fürchterlich rächen.“
    „Unsinn!“
    „Ja, das kann sie! Wir wissen es. Glaube es mir! Wir sehen es ja an den Leuten, welche kommen, um ihr ihre Anliegen auszusprechen. Es geht da alles in Erfüllung, was die Alte sagt. Zwar darf der Pascha davon nichts – – –“
    Er hielt erschrocken inne und senkte den Kopf noch tiefer als vorher; da war es für mich nicht schwer, zu erraten, weshalb er mitten in der Rede innegehalten hatte. Ich benützte das sofort, indem ich im strengsten Ton sagte:
    „Was höre ich da! Es kommen Leute, welche zu der Frau gelassen werden?“
    „Ja, Herr. Wir baten den Mülasim, und er hat es uns erlaubt. Wir hoffen, daß auch du uns diese Erlaubnis nicht verweigerst, denn du wirst dafür ebenso wie er einen Teil der Geschenke erhalten, welche wir bekommen.“
    Da ertönte eine scheltende Stimme von hinter der Windung der Treppe herab:
    „Wer spricht so laut da unten? Wißt ihr nicht, daß jetzt für mich die Zeit der Ruhe ist!“
    „Das ist der Mülasim“, erklärte mir der Kurde leise. „Er befindet sich also nicht dort in seiner Stube, sondern oben auf der Treppe, wo er bessere Luft hat, wie er sagt.“
    „Warte draußen auf mich! Ich gehe zu ihm hinauf.“
    Er entfernte sich, und ich stieg langsam die Stufen empor. Der Mülasim schien nur gehört zu haben, daß überhaupt gesprochen wurde. Verstanden hatte er wahrscheinlich nichts, weil sonst sein Verhalten ein anderes gewesen wäre. Nichts hätte mir für meinen Plan besser passen können als das, was ich von dem langen Kurden erfahren hatte. Die Wundertätigkeit Marah Durimehs bestand nur in der Phantasie der Kurden, welche die betreffenden Märchen erzählten, um Geschenke einzuheimsen. Mein Selbstvertrauen war ganz bedeutend gewachsen.
    Ich hatte nur erst wenige Stufen erstiegen, so hörte ich oben zornig sagen:
    „Wer wagt es da, heraufzukommen? Ihr wißt doch, daß ich jetzt meine Ruhe haben will!“
    Ich ging natürlich trotzdem weiter. Als ich dann die Krümmung der Wendeltreppe passiert hatte, sah ich den Mülasim mit den Händen unter dem Kopf lang ausgestreckt auf dem tief schmutzigen Boden liegen. Er hob den Kopf empor, um zornig loszudonnern; das sah ich ihm an; als er aber mich anstatt eines Dawuhdijeh erblickte, sprang er erschrocken auf und blieb lang stehen, ohne ein Wort zu sagen. Solche Augen, so ein Gesicht und solch einen Schnurrbart konnte nur ein Arnaute haben. Er war nicht mehr jung, hatte also jedenfalls von der Muskete auf gedient und wurde nun zu ähnlichen Zwecken, wie der gegenwärtige einer war, verwendet, die mit dem Frontdienst und der Ambition nichts zu tun haben.
    „Du mußt schon erlauben, daß ich dich in deiner Ruhe störe“, sagte ich. „Die Störung wird keine kurze sein, sondern eine längere, als du denkst!“
    Nun stand ich vor ihm und betrachtete ihn genau. Wie ich ihn abschätzte, stand zu erwarten, daß ich kein schweres Spiel mit ihm haben würde.
    „Verzeihung!“ stieß er hervor. „Ich – ich dachte, daß – – – daß es ein Kurde sei!“
    „Da hast du dich geirrt. Hier, sieh, wer ich bin!“
    Ich zog das Papier aus der Tasche und gab es ihm. Er hatte sehr lange zu studieren, ehe er mit dem Lesen fertig wurde. Dann ließ er die Hand mit den Zeilen fallen und sagte:
    „Ich soll fort von hier? Du kommst an meine Stelle? Das ist mir recht
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