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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
Autoren: Karl May
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ich für mich und mein Vorhaben hinderliche oder gar gefährliche Geistesgaben hätte zutrauen dürfen. Sie sahen ganz so tatenunfähig aus wie ihre mageren Gäule, welche mit dem meinen nun noch allein im Hof standen; sie unschädlich zu machen, war nicht schwer.
    Zunächst ging ich wieder in den Turm und stieg zu Marah Durimeh hinauf. Ich entfernte die Riegelpfosten, öffnete die Tür und trat zu ihr ein. Da stand sie hoch aufgerichtet mitten in dem Raum, streckte mir die Hände entgegen und sagte:
    „Ich wußte, daß du sehr bald wiederkommen würdest. Sei gegrüßt und sei gesegnet, Effendi! Gott sendet dich zur rechten Zeit, den ich weiß, daß ich bald in weite Ferne geschafft werden sollte, wo ich nur Haß und Ungerechtigkeit, nicht Liebe und Gerechtigkeit gefunden hätte. Ich habe einst Abschied für das ganze Leben von dir genommen, und siehe da, mein Auge darf dich wiederschauen! Welch eine Wonne, welche Seligkeit! Du bist mein Sohn, mein Kind, nicht nach dem Körper, sondern nach dem Streben meiner und deiner Seele, nach dem geistigen Wandel, der uns zu gleichem Ziel nach oben führt. Darum begegnen sich auch unsere irdischen Pfade wieder, und darum bist du gesandt, mich zu denen zurückzuführen, in deren Liebe ich noch hier auf Erden lebe. Ich frage nicht, woher und wie du gekommen bist; ich frage auch nicht, wie und wohin du mich führen wirst; du bist da, und ich folge dir. Hier, nimm mich bei der Hand!“
    Ich drückte ihre Hände an meine Lippen und führte sie, ohne ein Wort zu sagen, hinaus und dann hinunter in den Hof, wo ich den Asakern befahl, ihre Mäntel, die aber längst keine Mäntel mehr waren, zu einem Kissen zusammenzulegen, auf welches sie sich setzte. Dann mußten mir die fünf armen Teufel hinauf folgen, wo Marah Durimeh gesteckt hatte. Sie hatten nur die Seitengewehre bei sich. Als sie eingetreten waren und mich nun erwartungsvoll anschauten, nahm ich den Revolver heraus, richtete den Lauf desselben auf sie und sagte, indem ich mich bis hinaus vor die Tür zurückzog, zu ihnen:
    „Ich mache jetzt die Tür hier zu und gehe mit den Gefangenen fort. Ihr verhaltet euch bis heut abend vollständig ruhig; dann könnt ihr beginnen, die einzelnen Bohlen der Tür herauszutrennen, was mit Hilfe eurer starken Klingen leicht möglich ist. Ist euch das gelungen, so könnt ihr tun, was euch beliebt; ich habe nichts dagegen!“
    Keiner von ihnen rührte sich. Mein Verhalten war ihnen vollständig unbegreiflich. Ich schob die Tür zu, ohne daran gehindert zu werden, legte die Pfosten quer vor und ging dann die zwei Treppen wieder hinab. Da lagen die Stricke. Sie waren zum Heraufturnen mit Knoten und an den Enden mit festen Schlingen versehen.
    „Jamir!“ rief ich hinab. „Antworte! Hörst du mich?“
    Es blieb unten still. Da fuhr ich fort:
    „Dein Weib ist mit uns gekommen. Ich weiß von ihr, daß du von mir gehört hast. Ich bin Kara Ben Nemsi Effendi und gekommen, euch zu befreien. Ich habe den Mülasim und die Dawuhdijehs durch eine List von hier fortgeschickt und lasse euch jetzt das Seil hinab. Bindet zunächst den Knaben daran fest, daß ich ihn heraufziehe!“
    „Nein“, rief da eine Stimme. „Ehe ich dir ihn anvertraue, muß ich dich erst sehen. Ich komme selbst. Halte fest!“
    Ich ließ das Seil hinab und schlang das obere Ende um einen vorstehenden Stein des Türgewands. Nach wenigen Augenblicken stand ein Kurde vor mir, dem jeder sofort den nicht gewöhnlichen, sondern bedeutenden Mann ansehen mußte. Er bohrte seine Augen forschend in mein Gesicht.
    „Du hast dich Schevin genannt, bist aber Jamir selbst?“ fragte ich ihn, seinen Blick aushaltend.
    „Ja“, antwortete er. „Und du willst Kara Ben Nemsi sein? Beweise es!“
    „Wie kann ich das beweisen? Schau dich um! Du wirst finden, daß alle eure Wächter fort sind.“
    „Ich weiß, daß Kara Ben Nemsi am Hals die Narbe eines tiefen Messerstiches hat. Zeig her!“
    Ich drehte mich so, daß er sie sah.
    „Du bist es wirklich! Hamdullillah! Und du sagst, mein Weib sei auch hier?“
    „Ja.“
    „Ich wußte, daß sie kommen würde! Wo ist sie?“
    „Einstweilen in einem Versteck hier in der Nähe.“
    „Wie und wo hat sie dich getroffen, und wie ist es gekommen, daß du allein hier bist und – – –“
    „Ich bitte dich, jetzt nicht zu fragen“, unterbrach ich ihn. „Ich werde das, was du erfahren willst, auch andern erzählen müssen und möchte das nur einmal und nicht öfter tun. Wir wollen uns lieber
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