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2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition)
Autoren: Jostein Gaarder
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Beuteltieren. Also müssen sie wohl alle zahm sein, so könnte man jedenfalls meinen. Aber Nova weiß, dass es keine echten Tiere sind. Es sind Hologramme der neuesten Generation; es sind Tiere nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Laserstrahlen.
    Farbe, Gestalt, Bewegungen – alles an den Tieren wirkt vollkommen echt. Plötzlich springt ein riesiges Känguru vor ihnen über den Weg, dann jagt in wildem Tempo ein schwarzer Panther vorüber. Tauben und Raubvögel flattern und gleiten durch die Luft. Aber sie leben nicht. Sie sind virtuell. Deshalb sind sie weder für die Menschen noch füreinander gefährlich. Aus demselben Grund sind sie stumm. Sie brauchen kaum Pflege, müssen nicht gefüttert oder von Läusen und anderen Schmarotzern befreit werden, hinterlassen keinen Kot.
    Er hat ihr den rechten Arm um die Schultern gelegt. Durch diesen großen Park zu wandern ist, wie durch die Welt von gestern zu gehen, fast als wären sie wieder im Garten Eden.
    Es ist kein Zufall, dass die Weltregierung sich für die Einrichtung des Internationalen Tierparks Den Haag ausgesucht hat. Er soll in der Stadt des Internationalen Gerichtshofs für die zerstörten Ökosysteme überall auf der Welt Zeugnis ablegen. Die lebenden Vorbilder der Tiere im Park sind nämlich allesamt von der Erdoberfläche verschwunden, verschwunden mit den Landschaften und Biotopen, in denen sie einmal gelebt haben. Auch die Vegetation in dieser riesigen Anlage ist virtuell, auch die überall zu sehenden Büsche, Bäume und Zierpflanzen sind in Wahrheit ausgerottet. Nur das Gras, auf dem sie gehen, ist noch echte Natur, und als sie sich bücken muss, um einen losen Schnürsenkel zu binden, entdeckt sie eine winzige feuerrote Blattlaus – vielleicht ist sie sogar lebendig, aber das ist schwer zu sagen.
    Ein zudringlicher Schakal läuft ihnen ein paarmal vor die Füße, und der junge Araber versucht, ihn mit dem Fuß beiseitezuschieben, aber der nervige Vierbeiner lässt sich nicht beeindrucken – wie auch, schließlich ist er nur eine Luftspiegelung.
    Er bleibt stehen und wartet, dass der Schakal sich davonmacht. Er streicht ihr über den Kopf, lässt ihre braunen Haare durch die Finger gleiten. Dann fragt er: »Macht einem so ein Park jetzt Spaß, oder ist er eher eine bittere Erinnerung?«
    Sie schiebt die Hände unter sein T- Shirt, fährt über seine Brust und schaut ihm ins Gesicht. Sie sagt: »Er ist eine unangenehme, aber notwendige Erinnerung an die Massenausrottung von Arten, die wir Menschen nie vergessen dürfen.«

IDENTITÄT
     
    Es dämmerte schon. Als sie den letzten mit Birken bewachsenen Hang hinter sich hatte, folgte Nora einem Weg, der sich von einem Parkplatz aus den Berg entlangzog und nicht gestreut war.
    Plötzlich erblickte sie das Mädchen, das sie schon oben bei der Berghütte gesehen hatte. Es verließ schnell den Weg und verschwand im Wald. Unter dem Arm trug es einen bläulich funkelnden Apparat, und diesmal hatte Nora für einen Moment auch sein Gesicht sehen können. Das Mädchen hatte ein wenig Ähnlichkeit – mit Nora selbst.
    Jetzt erst ging ihr auf, dass sie im Traum, als sie dieses Mädchen gewesen war, nie ihr eigenes Gesicht gesehen hatte. Sie hatte nie vor dem Spiegel gestanden. Wie ärgerlich!
    Sie bremste scharf und begann, zu der Stelle aufzusteigen, wo das Mädchen den Weg verlassen hatte. Sie fand Fußspuren im Schnee und folgte ihnen bis zu der kleinen Lichtung mitten im Birkenwald. Aber das Mädchen, das sie suchte, war spurlos verschwunden.
     
    Es war jetzt fast dunkel, aber nicht ganz. Es war kein Mond zu sehen, aber immer mehr Sterne zeichneten sich am Himmel ab.
    Irgendwo hatte sie gelesen, der nächste Nachbar ihrer eigenen Sonne sei 4,3 Lichtjahre entfernt. Sein Name war Alpha Centauri. Aber selbst ein rasend schneller Jumbojet würde für eine Reise zu diesem Nachbarn im Weltraum fünf Millionen Jahre brauchen!
    Umso näher und verletzlicher erschien ihr bei dem Gedanken ihr eigener Stern.
     
    Ihr fiel etwas ein, das sie in einem der Artikel in den roten Kartons gelesen hatte. Es ging darin darum, den Mut zu haben, mehr zu sein als nur man selbst. Der Artikel war in einer der Plastiktüten, aber hier war es zu dunkel zum Lesen, und eine Taschenlampe hatte sie nicht dabei. Nora dachte an ihre Urenkelin, die mit ihrem tragbaren Terminal auf derselben kleinen Lichtung gesessen hatte, und nun zog sie die Handschuhe aus und angelte ihr neues Handy aus der Tasche. Sie erinnerte sich an eine bestimmte
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