2012 - Schatten der Verdammnis
unterseeischen Mikrofonen. Ursprünglich hat die Navy es während des Kalten Kriegs eingerichtet, um feindliche U-Boote aufzuspüren. Anschlie-βend haben es Biologen übernommen und benutzen es, um die Meeresfauna zu belauschen. Die Mikrofone sind so sensibel, dass man hören kann, wie eine Hunderte von Kilometern entfernte Walherde...«
Der durchdringende Blick unterbricht ihren Redefluss. »Weshalb sind Sie nicht bei Ihrem Cousin geblieben? Da muss doch irgendwas Traumatischen passiert sein, wenn Sie im Waisenhaus gelandet sind.«
Der ist ja noch schlimmer als Foletta. »Mick, eigentlich bin ich hier, um mich mit Ihnen über Ihre Probleme zu unterhalten.«
»Ja, aber vielleicht hab ich ebenfalls eine traumatische Kindheit hinter mir. Vielleicht könnte Ihre Geschichte mir helfen.«
»Das bezweifle ich. Schließlich hat sich alles zum Guten gewendet. Die Axlers haben mir meine Kindheit zurückgegeben und ich.:..«
»Aber nicht Ihre Unschuld.«
Dominique spürt, dass sie bleich wird. »Na schön, da uns jetzt beiden klar ist, dass Sie eine rasche Auffassungsgabe besitzen, wollen wir doch mal schauen, ob Sie Ihren erstaunlichen IQ auch für die Selbstbeobachtung nutzen können.«
»Sie meinen, damit es Ihnen möglich ist, mir zu helfen?«
»Vielleicht uns gegenseitig zu helfen.«
»Meine Akte haben Sie wohl noch nicht gelesen, oder?«
»Noch nicht, nein.«
»Wissen Sie, warum Direktor Foletta mich Ihnen zugewiesen hat?«
»Wie wär’s, wenn Sie mir das erklären?«
Mick starrt auf seine Hände. Offenbar denkt er über seine Antwort nach. »Es gibt da eine Studie, verfasst von einem Psychologen namens Rosenhan. Haben Sie die gelesen?«
»Nein.«
»Würde es Ihnen was ausmachen, sie zu lesen, bevor wir das nächste Mal zusammenkommen? Ich bin sicher, dass Dr. Foletta in einer der Pappkisten, die er als sein Archiv bezeichnet, eine Kopie davon aufbewahrt.«
Sie lächelt. »Wenn es wichtig für Sie ist, werde ich sie lesen.«
»Danke.« Er beugt sich vor. »Ich mag Sie, Dominique. Wissen Sie, weshalb ich Sie mag?«
»Nein.« Das bleiche Spiegelbild der Neonröhren tanzt in seinen Augen.
»Ich mag Sie, weil Sie noch nicht durch die Arbeit in einer solchen Anstalt abgeschliffen sind. Sie wirken noch frisch und das ist wichtig für mich, weil ich Ihnen wirklich vertrauen will. Jetzt geht das nicht, zumindest nicht in diesem Zimmer, in dem Foletta uns beobachtet. Au-βerdem glaube ich, dass Sie sich womöglich mit einigen
der Erlebnisse, die ich hinter mir habe, identifizieren können. Deshalb würde ich gern über viele Dinge mit Ihnen sprechen, über sehr wichtige Dinge. Meinen Sie, wir können uns das nächste Mal privat unterhalten? Vielleicht unten im Hof?«
»Ich werde Dr. Foletta fragen.«
»Erinnern Sie ihn an die Regeln dieser Institution, wenn Sie das tun. Würden Sie ihn außerdem bitten, Ihnen das Tagebuch meines Vaters zu überlassen? Wenn Sie mich therapieren sollen, ist es für mich von entscheidender Bedeutung, dass Sie es lesen. Könnten Sie mir diesen Gefallen erweisen?«
»Ich werde es sehr gerne lesen.«
»Danke. Könnten Sie das bald tun, vielleicht übers Wochenende? Ich möchte Ihnen zwar ungern gleich Hausaufgaben geben, vor allem, weil das Ihr erster Tag hier ist, aber es ist extrem wichtig, dass Sie es sofort lesen.«
Die Tür geht auf und eine Schwester tritt ein. Draußen steht der Wärter und beobachtet die Szene. »Zeit für Ihre Pille, Mr. Gabriel.« Die Schwester reicht ihm einen Pappbecher mit Wasser und eine weiße Tablette.
»Mick, ich muss jetzt wieder gehen. War schön, Sie kennen zu lernen. Ich werde versuchen, meine Hausaufgaben bis Montag zu erledigen, okay?« Sie steht auf und wendet sich der Tür zu.
Mick starrt auf die Tablette. »Dominique, Ihre Familie mütterlicherseits... Die stammt von den Quiché-Maya ab, stimmt’s?«
»Von den Maya? Ich... hab keine Ahnung.« Er weiß, dass du lügst. »Ich meine, möglich wär es schon. Aber meine Eltern sind gestorben, als ich noch ganz...«
Plötzlich hebt sich sein Blick. Die Wirkung ist entwaffnend. »Vier Ahau, drei Kankin. Sie wissen doch, was für ein Tag das ist, nicht wahr, Dominique?«
Ach, du Scheiße... »Ich... also, bis bald.« Dominique
schiebt sich an dem Wärter vorbei und verlässt das Zimmer.
Michael Gabriel legt sich bedächtig die Tablette in den Mund. Dann leert er den Becher Wasser und zerknüllt ihn in der linken Hand. Er öffnet den Mund, damit die Schwester ihn mit einem Spatel und
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