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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2
Autoren: Haruki Murakami
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können Sie doch entscheiden, Herr Komatsu, oder? Daran kann sie dann anknüpfen.«
    »Meinst du?«, sagte Komatsu. Er gähnte gelangweilt und trank anschließend sein Wasser in einem Zug aus. »Tengo, mein Freund, jetzt überleg doch mal. Angenommen, wir nehmen diesen Wirrwarr in die engere Auswahl. Die Damen und Herren von der Jury fallen doch auf den Hintern. Womöglich werden sie sogar sauer. Nicht mal zu Ende lesen werden sie es. In der Jury sind vier aktive Schriftsteller. Diese Leute haben eine Menge zu tun. Nach den ersten zwei Seiten schmeißen die das Ding in die Ecke. Den Aufsatz einer Erstklässlerin werden sie es nennen. Wir haben hier etwas vor uns, das nur glänzt, wenn man es poliert. Wird jemand auf mich hören, wenn ich es anpreise? Auch wenn ich die Macht hätte zu bestimmen, würde ich lieber etwas Erfolgversprechenderes nehmen.«
    »Heißt das, Sie lassen es einfach fallen?«
    »Das habe ich nicht gesagt.« Komatsu rieb sich den Nasenflügel. »Ich habe nur eine etwas andere Idee.«
    »Eine etwas andere Idee«, sagte Tengo. Die Worte hatten einen leicht unheilvollen Klang.
    »Du schlägst vor, wir sollen unsere Erwartungen auf ihr nächstes Werk richten«, sagte Komatsu. »Ich selbst würde natürlich gern warten. Für einen Redakteur ist es die größte Freude, einen jungen Autor langsam und liebevoll heranzuziehen. Welch herzerquickliche Beschäftigung ist es doch, den Blick über den klaren Nachthimmel schweifen zu lassen und einen neuen Stern zu entdecken, bevor es ein anderer tut. Leider kann ich mir, ehrlich gesagt, nur schwer vorstellen, dass von diesem Mädchen noch mehr zu erwarten sein wird. Bei aller Fehlbarkeit friste ich immerhin seit zwanzig Jahren mein Leben in dieser Branche. In der Zwischenzeit habe ich alle möglichen Autoren kommen und gehen sehen. Dabei habe ich einigermaßen gelernt, die, von denen noch was kommt, und die, von denen wahrscheinlich nichts mehr kommt, zu unterscheiden. Und dass es bei dem Mädchen kein nächstes Mal gibt, kann ich dir jetzt schon sagen. Tut mir leid. Auch kein übernächstes Mal. Und kein überübernächstes Mal. Erstens hat sie einen Stil, den man nicht mit der Zeit durch Übung verbessern kann. Da kannst du warten, bis du schwarz wirst. Man kann keinen guten Text schreiben, wenn man zwar die Absicht hat, einen guten Text zu schreiben, aber keinen blassen Schimmer, wie das geht. Wer schreiben will, muss entweder über ein angeborenes literarisches Talent verfügen oder sich abmühen, bis er wahnsinnig wird oder stirbt. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Aber auf diese Fukaeri trifft weder das eine noch das andere zu. Sie hat keine erkennbare natürliche Begabung und anscheinend auch nicht die Absicht, sich zu bemühen. Warum sie diese Geschichte geschrieben hat, weiß ich nicht, aber bestimmt nicht aus Interesse an der Schriftstellerei. Offenbar hat sie den Wunsch, eine Geschichte zu erzählen, anscheinend sogar den recht starken Willen. Das erkennt man. Das ist es auch, was dich bei aller Ungeschliffenheit anzieht und mich dazu gebracht hat, das Manuskript zu Ende zu lesen. Es ist in jedem Fall ein tolles Ding. Dennoch hat sie als Schriftstellerin keinen Fliegenschiss von einer Zukunft. Jetzt bist du wahrscheinlich enttäuscht, aber so ist es nun mal – wenn ich dir ganz offen meine Meinung sagen darf.«
    Tengo dachte nach. Was Komatsu zu sagen hatte, klang vernünftig. Verlegerischen Instinkt konnte man ihm nicht absprechen.
    »Aber es wäre doch nicht schlecht, ihr eine Chance zu geben, oder?«, sagte Tengo.
    »Du willst sie ins kalte Wasser werfen und sehen, ob sie schwimmt oder untergeht?«
    »Vereinfacht ausgedrückt.«
    »Ich habe schon genug sinnlose Zerstörung angerichtet. Ich will nicht mehr zusehen, wie jemand absäuft.«
    »Und wie beurteilen Sie dann meinen Fall?«
    »Du bemühst dich wenigstens«, sagte Komatsu nachdrücklich. »Soweit ich sehen kann, gibt es bei dir keine Schlamperei. Du empfindest große Hochachtung vor dem Schreiben. Und warum? Weil du gern schreibst. Auch das schätze ich an dir. Die Liebe zum Schreiben ist für jemanden, der die Schriftstellerlaufbahn anstrebt, die wichtigste Eigenschaft.«
    »Aber das allein genügt nicht.«
    »Natürlich genügt das nicht. Man braucht ›das gewisse Etwas‹. Und das beinhaltet zumindest, dass ich nicht aufhören kann zu lesen. Bei Romanen ist das mein erstes Einschätzungskriterium. An Büchern, die ich gleich wieder aus der Hand legen kann, habe ich nicht das
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