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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2
Autoren: Haruki Murakami
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Jackett, steckte sich eine in den Mund und zündete sie mit einem Streichholz aus einer Schachtel mit dem Werbeaufdruck des Cafés an. Dann warf er einen kurzen Blick auf seine Uhr.
    »Also, worüber sprachen wir gerade?«, fragte Tengo. Er musste schnellstens wieder zu sich kommen.
    »Äh, ja, worüber sprachen wir?« Komatsu schaute in die Luft und dachte kurz nach. Oder tat zumindest so. Tengo wusste nicht, was von beidem. Komatsus Gesten und seine Art zu sprechen hatten immer etwas von einer Darbietung. »Ach so, ja, wir haben über dieses Mädchen gesprochen, Fukaeri heißt sie. Und über ›Die Puppe aus Luft‹.«
    Tengo nickte. Fukaeri und »Die Puppe aus Luft«. Er war im Begriff gewesen, mit Komatsu darüber zu sprechen, als der »Anfall« kam und das Gespräch unterbrach. Tengo nahm eine Kopie des Manuskripts aus seiner Tasche und legte es auf den Tisch. Er ließ die Hände über den Stapel gleiten und prüfte, wie es sich anfühlte.
    »Ich sagte es schon am Telefon: Das Beste an ›Die Puppe aus Luft‹ ist, dass die Autorin nicht versucht, jemanden zu imitieren. Das ist äußerst selten bei einem Erstlingswerk. Die versuchen sonst immer wie irgendetwas anderes zu sein.« Tengo sprach wohlüberlegt. »Natürlich ist ihr Stil noch ungeschliffen und die Wortwahl ungeschickt. Es fängt schon beim Titel an, sie verwechselt ›Puppe‹ mit ›Kokon‹. Wenn ich wollte, könnte ich reihenweise Fehler aufzählen. Aber trotz allem hat die Geschichte etwas sehr Anziehendes. Als Ganzes ist sie zwar phantastisch, dennoch ist die Schilderung der Einzelheiten bedrückend real. Dieses Spannungsverhältnis macht sich ausgezeichnet. Ob ihre Originalität, Folgerichtigkeit oder sprachliche Qualität ausreichen, weiß ich nicht. Wenn Sie mir sagen, das Niveau sei ungenügend, kann das durchaus sein. Der Text liest sich holprig, aber als ich damit durch war, wirkte er noch lange ruhig nach. Auch wenn ein seltsames, unbehagliches Gefühl dabei war, das schwer zu beschreiben ist.«
    Komatsu sah Tengo wortlos an. Er wollte mehr hören.
    »Ich konnte das Werk nicht einfach aus der Auswahl streichen, nur weil es sprachliche und stilistische Mängel hat. In den letzten Jahren habe ich berufsmäßig bergeweise eingereichte Manuskripte gelesen. Überflogen kommt der Sache wohl näher. Darunter waren vergleichsweise gut geschriebene Texte und auch völlig hoffnungslose – letztere natürlich in der Überzahl. Doch von allen Werken, die mir unter die Augen gekommen sind, hat bisher keins so auf mich gewirkt wie ›Die Puppe aus Luft‹. Es war auch das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, einen Text, nachdem ich ihn bereits gelesen hatte, im Geiste noch einmal zu lesen.«
    »Aha«, sagte Komatsu. Aufrichtig interessiert zog er an seiner Zigarette. Er spitzte die Lippen. Aber Tengo kannte ihn nicht erst seit gestern und ließ sich nicht so leicht von seiner Attitüde täuschen. Dieser Mann setzte häufig ein Gesicht auf, das mit seinen wahren Gefühlen nichts zu tun hatte oder sogar ihr Gegenteil ausdrückte. Tengo wartete geduldig darauf, dass Komatsu sich äußerte.
    »Ich habe es auch gelesen«, sagte Komatsu, nachdem er einen Moment hatte verstreichen lassen. »Gleich nachdem du mich angerufen hast. Also, nein, es ist doch wirklich furchtbar schlecht, oder? Die Grammatik ist katastrophal, und es gibt sogar Sätze, bei denen man nicht versteht, was sie bedeuten oder was die Autorin damit sagen will. Bevor sie einen Roman oder so was schreibt, sollte sie lieber erst mal die Grundbegriffe der Syntax lernen.«
    »Aber Sie haben es zu Ende gelesen. Stimmt’s?«
    Komatsu lächelte. Es war ein Lächeln aus einer Schublade, die er für gewöhnlich nicht öffnete. »Ja, stimmt. Da hast du recht. Ich habe es ganz gelesen. Hat mich selbst überrascht. Dass ich ein für den Debütpreis eingereichtes Manuskript ganz durchlese, das gibt es praktisch nie. Schlimmer noch, einige Teile habe ich sogar zweimal gelesen. Das kommt ungefähr so oft vor wie eine Syzygie. Das gebe ich zu.«
    »Es hat was. Oder nicht?«
    Komatsu legte seine Zigarette in den Aschenbecher und rieb sich mit dem rechten Mittelfinger einen Nasenflügel, ohne auf Tengos Frage zu antworten.
    »Das Mädchen ist erst siebzehn. Sie geht auf die Oberschule. Sie hat nur noch keine Übung darin, Literatur zu lesen oder zu schreiben. Für dieses Werk bekommt sie den Debütpreis wahrscheinlich wirklich nicht. Aber es hätte das Zeug dazu, in die engere Auswahl zu kommen. So weit
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