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1980 Die Ibiza-Spur (SM)

1980 Die Ibiza-Spur (SM)

Titel: 1980 Die Ibiza-Spur (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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gelitten hat. Solche Gefühle, die aus der absoluten Ehrlichkeit stammen, können nicht mit draufgehen, auch wenn einer sein Weltbild noch so sehr umkrempelt. Darum würde Victor, selbst bei einer drastischen Änderung seiner Lebensweise, sich immer auch in deine Lage versetzen, und dann wüßte er, wie sein Abschied dich quält. Nein, so sehen veränderte Weltbilder nicht aus, daß aus einem einfühlsamen, liebenden Sohn einer wird, der seine Mutter peinigt. Und was mich betrifft, ist es ähnlich. Liebe unter Geschwistern ist eine besondere Gnade. Sieh dir die zerstrittenen Familien an! Fast immer geht es ums Haben. Oder ums Behalten. Sobald da etwas in Gang kommt, das darauf abzielt, den anderen zu übervorteilen, ist im Grunde alles verloren. Und manchmal geht’s dem Benachteiligten schon gar nicht mehr um die Wahrung seines Rechts, sondern um die bittere Frage, wie es überhaupt möglich war, daß es ihm streitig gemacht wurde. So etwas wäre bei uns ganz undenkbar. Wenn Victor ab heute arbeitslos wäre, würde ich spätestens morgen mein Geld mit ihm teilen. Wenn ich in Port of Spain oder Kapstadt in Not geriete, würde Victor morgen früh seine Koffer packen und zu mir fahren. Darum ist es ja auch so unglaubwürdig, daß er gegangen ist, ohne mir etwas zu sagen. Und daß er sich von dir nur brieflich verabschiedet hat, ist noch viel unglaubwürdiger.«
    »Er hat es aber so gemacht.«
»Ja. Oder vielmehr: Das ist die Frage.«
Und damit waren sie wieder am Ausgangspunkt, und
    beide spürten, daß sie sich im Kreise drehten.
»Der Brief ist vom fünften März«, fuhr Klaus fort, »und
am Telefon sagtest du mir, inzwischen seien auch seine
Sachen angekommen. Was kam? Und wie kam es?« »Mit der Post. Zwei Pakete. Und die Schreibmaschine.
Ich mußte sogar zum Zoll und denen alles zeigen.
Absender war das Hotel, aus dem auch das Briefpapier
stammt, auf dem er mir geschrieben hat. EL CASTILLO.« »Wer, genau, hat diese Pakete gepackt und aufgegeben?
Wer hat sie bezahlt? Von welchem Geld? Konntest du das
irgendwie feststellen?«
»Ja. Ich habe inzwischen mit den Leuten vom Hotel
telefoniert. Sie haben da jemanden, der deutsch spricht. Er
sagte, Victor hätte dort gewohnt, meistens so gegen neun
gefrühstückt und auch im Hotelrestaurant gegessen, mal
mittags, mal abends, häufiger abends, und plötzlich sei er
nicht mehr dagewesen. Das Zimmermädchen hat, so
erzählte er, eines Tages die beiden gepackten Pakete und
die Schreibmaschine gefunden, neben der Tür, und auf
dem Tisch lag der Brief an mich und daneben noch ein
anderer, auf englisch, an das Hotel. Darin bat er, die Sachen und den Brief an mich abzuschicken. Mein Brief war zugeklebt und frankiert, und für die Pakete hat er in dem anderen Brief viertausend Peseten hinterlegt. Das sind, wie man mir sagte, ungefähr hundert Mark, und das
reichte aus.«
»Ist der Brief an das Hotel auch mit der Maschine
geschrieben?«
»Ja. Ich habe das auch gleich gefragt.«
»Wo sind die Sachen jetzt?«
»Oben. In seinem Zimmer. Ich habe sie ausgepackt, aber
nichts weggelegt. Ich wollte, daß du sie erst siehst. Alles
ist auf seinem Bett ausgebreitet, Wäsche, Hosen und
Jacken, Schuhe, Bücher. Und die Remington steht auch
da.«
»Ich werde mir nachher alles ansehen. Und noch etwas
werde ich natürlich tun, nach Ibiza fahren. Nicht gleich
morgen, aber in ein paar Tagen.«
»Hältst du das für richtig?«
»Ja. Daß du telefoniert hast, war gut, aber man muß dann
auch noch mit den Leuten persönlich reden, mit dem
Zimmermädchen, dem Hotelbesitzer, mit dem Mann, der
deutsch spricht, überhaupt mit allen, die im Hotel arbeiten.
Vielleicht müßte man sich sogar die Adressen von Gästen
geben lassen, die zu Victors Zeit im Hotel wohnten, und
sie aufsuchen, egal, wo sie zu Hause sind. Vielleicht hat er
auch Besuch gehabt, Leute von der Insel. Das müßte man
herauskriegen und dann natürlich auch mit denen
sprechen. Vielleicht hat er nicht immer allein gegessen,
und der Kellner erinnert sich. Du siehst, es gibt
Ansatzpunkte, und man muß sie alle nutzen.«
»Und wenn … , und wenn … das ein bißchen gefährlich
wird?«
Da war sie, die Frage, die sowohl die Mutter als auch der
Sohn in ihren Briefen und Telefongesprächen nicht
angeschnitten hatten. Also schließt auch sie, dachte Klaus,
ein Verbrechen nicht aus. Aber er war ein liebevoller
Sohn, wollte ihre Sorge durch spontane Zustimmung nicht
noch vergrößern, und so fragte er erst mal nach:
»Gefährlich?«
»Ja. Könnte es
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