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190 - Der Finder

190 - Der Finder

Titel: 190 - Der Finder
Autoren: Jo Zybell
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zu jenem kindischen Lächeln, das Cahais Miene selbst im Schlaf noch zu der eines Idioten machte.
    Clarice drückte stumm seine Hand und drängte sich an ihn. Vogler stimmte den Hymnus der Greifvögel an. Die Baumsprecher in den Marswäldern ließen ihn manchmal in Zeiten großer Bedrohung singen. Vogler sang leise, wie für sich selbst. Er spürte, wie Clarice neben ihm ruhiger wurde.
    Victorius zuckte plötzlich und trat von einem Fuß auf den anderen.
    Er bewegte und schüttelte sich. Nach und nach kehrte das Leben in seinen Körper zurück. Er öffnete die Augen. Glücklich sah er aus, erschreckend glücklich.
    Der Greis namens Gauko’on sprach wieder eine Art Urteil: Zu eigensinnig, zu wenig kampferfahren, aber dennoch brauchbar für den Ahnen; vor allem wegen seines Luftschiffes. Vogler registrierte das alles nur beiläufig. Es interessierte ihn nicht. Er sammelte seine Kräfte für den Kampf.
    Victorius ging ein Stück vom Feuer weg und ließ sich neben Cahai auf dem Felsboden nieder. Und schon richtete Gauko’on seinen stechenden Blick auf den Baumsprecher. Seid ihr bereit, mit mir zu gehen?
    Vogler unterbrach seinen Gesang. »Nein«, sagte er mit fester Stimme und sang weiter. Auch Clarice neben ihm flüsterte ihr Nein.
    Der Blick des Anangu brannte. Vogler hielt ihn für eine Art Medium. Er spürte die Macht zwar, die durch den Greis sprach, sah und hörte sie, wusste aber nicht zu sagen, mit was für einer Art von Macht sie es zu tun hatten. Jedenfalls fürchtete er sie nicht. Die Macht nicht und den Greis nicht. Er erwiderte seinen Blick und sang noch lauter.
    Ich frage euch noch einmal: Seid ihr bereit, eurem HERRN zu begegnen?
    Wie eine Glocke dröhnte die Stimme in Voglers Kopf. Clarice ließ seine Hand los, schloss die Augen und presste die Fäuste gegen die Schläfen. Beide wiederholten ihr Nein. Vogler sang lauter, sein Tenor hallte von den Höhlenwänden wider.
    Plötzlich glühten die Augen des Greises auf. Es war, als würde sein Schädel explodieren, und von jetzt auf gleich flutete das Licht seiner Augen die gesamte Höhle. Vogler sah nichts mehr, nur Licht. Er musste die Augen schließen, so grell war es. Er packte Clarices feuchte Hand, hielt sie fest und sang weiter.
    Das Licht brandete gegen seinen Körper, vermochte aber nicht in ihn einzudringen. Er schmetterte der Lichtbrandung seinen Hymnus entgegen. Das Licht zertrümmerte die Höhle, Vogler und Clarice stürzten. Das Licht verblasste, es wurde dunkel, und sie sahen einen Horizont.
    Sie stürzten.
    Im Himmel tief über dem Horizont hing ein großer Stern. Unter ihm dämmerte ein neuer Marsmorgen herauf. Das Licht des aufdämmernden Marstages zeichnete die scharfen Umrisse eines Vulkangipfels. Der Elysium Mons! Sie fielen und fielen.
    Vogler spürte, wie Clarice zitterte. Er zog sie an sich und schloss beide Arme um sie. Wie man ein schutzbedürftiges Kind festhält, so hielt er die Städterin fest. Er begriff, dass sie gemeinsam der Oberfläche des Mars’ entgegenstürzten, er begriff es und sang so laut er nur konnte.
    Für wen seid ihr geboren? Eine mächtige Stimme tönte aus den Weiten des Alls.
    »Für das Leben und für die, die uns lieben!« Vogler sang die Antwort. Auf einmal sah er unter sich eine Stadt: Elysium. Und rund um die Stadt seinen geliebten Marswald. Die Freude über das unverhoffte Wiedersehen trieb ihm die Tränen in die Augen.
    Für wen lebt ihr? Die Stimme umschwirrte sie wie ein Raubvogel seine Beute.
    »Für das Leben, für uns selbst, und für die, die uns lieben.« Vogler sang weinend. Er fühlte, wie der Körper der Dame Braxton bebte, und er schwor sich, ihr zu sagen, dass er sie liebte, falls sie das hier überleben sollten. Auf einmal brannten tief unter ihm die Stadt und der Wald. Eine gewaltige Rauchsäule stieg auf. Voglers Gesang ging in Geschrei über.
    Für wen sterbt ihr? , tönte die Stimme.
    »Für uns! Für neues Leben!« Vogler schrie. »Niemals für dich! Niemals!«
    So sei es! Die Stimme schrie aus den Flammen, aus dem Rauch, und Vogler und Clarice stürzten ihr entgegen. So sei es jetzt und hier! , schrie die Stimme. Vogler und Clarice schlugen in den Flammen ein. Als der Baumsprecher die Augen öffnete, hockte er mit Clarice im Arm in der Höhle. Clarice weinte, er sang leise und mit zitternder Stimme. Das Feuer war heruntergebrannt, alle starrten sie an – die Greise, Victorius, Cahai, die Anangu, alle.
    »Sie sind unbrauchbar für den Ahnen«, krächzte Gauko’on. »Sein Geist ist
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