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1869 - Gesang der Kleinen Mütter

Titel: 1869 - Gesang der Kleinen Mütter
Autoren: Unbekannt
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meisten zwei, drei Jahre, bevor sie endgültig verschwinden."
    „Oder sterben."
    „So ist die Natur, Bré. Möchtest du daran etwas ändern?"
    „Um Himmels willen, nein! Schon der Gedanke, als Unsterblicher wie Myles oder Atlan herumzulaufen, erfüllt mich mit Grauen." Bré schüttelte sich. „Vielleicht ist das Leben manchmal ein wenig kurz, aber ewig?
    Diese Einsamkeit? So viel Kummer? Nein, danke."
    „Das ist die Einstellung einer geborenen Sabinnerin, meine Liebe. Warte erst einmal, wenn du jahrelang von hier fort bist."
    „Blödsinn! Warum sollte sich das ändern?"
    „Das Leben ist in ständiger Bewegung. Dinge geschehen. Woher soll ich das wissen? Ich habe meine Lebenshälfte erreicht und werde in dreißig Jahren noch genau dasselbe machen wie jetzt. Bis ich tot umfalle.
    Beneidest du mich darum?"
    Bré lächelte. „Manchmal ..."
    „Siehst du, und manchmal beneide ich dich. Um deine Jugend, deine Bildung. Du kreuzt durchs Universum." Roan hob die Hände. „Das prägt uns, formt unseren Charakter. Selbst mein altes verrostetes Hirn."
    „Was du immer redest ..."
    „Du hast angefangen, Kleine. Und du weißt genau, daß du mich besser nicht herausfordern solltest."
    Beide Frauen lachten.
     
    *
     
    Nach einer kleinen Pause, in der sie schweigend Kaffee - ein sehr teurer Importartikel und daher äußerst geschätzt - tranken, sagte Roan Miller: „Du hast mir sehr viel erzählt, Bré. Wir müssen also der Tatsache ins Auge sehen, daß in den nächsten Wochen oder Monaten möglicherweise unser Untergang besiegelt wird."
    „Ja", bestätigte die Psychologin. „Wahrscheinlich sogar hier draußen, am Ende der Welt. Aber ich bitte dich, mit niemandem darüber zu sprechen. Ich habe nämlich ..."
    „Kindchen, dein ganzes Leben lang hast du mir alles anvertraut. Habe ich dich je enttäuscht?"
    „Nein. Ich wollte dir nur sagen, daß ich mir damit gerade selbst die Kündigung geschrieben habe."
    „Das ist mir doch klar." Roan schaute einen Moment still hinaus. Die Schatten wurden allmählich länger, die brütende Hitze ließ nach. „Natürlich werde ich das für mich behalten. Ich kann damit leben, verstehst du? Wenn es so sein soll, dann ist es eben so. Ich kann nichts daran ändern. Aber du, Bré. Nach dem, was du mir erzählt hast, brauchen sie dich."
    „Deswegen hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, mich um meinen privaten Kram zu kümmern."
    „Tja, manchmal geht das leider nicht anders." Roan zog an der Pfeife, merkte, daß sie ausgegangen war, und klopfte sie aus. „Du hast sehr ausführlich von allen erzählt", fuhr sie dann fort, „nur von einem nicht: Atlan."
    Bré fing eine kleine Fliege aus der Luft, die lästig vor ihren Augen herumsirrte, und pustete sie weg. „Er ist ein Unsterblicher. Du weißt, wie ich zu denen stehe."
    „Bist du in ihn verliebt?"
    Verblüfft schaute sie auf. „Nein. Wie kommst du darauf?"
    Roan zuckte mit den Achseln. Bré schwieg.
    Dann meinte sie: „Ich glaube, er mag mich ein bißchen."
    „Dann paß auf, sonst magst du ihn bald ein bißchen mehr"" sagte ihre ältere Freundin ernst. „Behalte deinen klaren Kopf. Vergeude deine Zeit nicht damit, denke lieber an deine Karriere, kleines Superhirn. Es wäre doch schade drum."
    „Da hast du absolut recht", stimmte Bré zu.
    „Und was wirst du jetzt tun?"
    „Ich weiß es noch nicht. Ich muß ein bißchen nachdenken."
    Roan stand auf und streckte ihre Arme in die Luft. „Du solltest eine Nacht hierbleiben und darüber schlafen. Ich glaube, du bist hoffnungslos überarbeitet und geradezu von dem Gedanken besessen, das Geheimnis zur Vernichtung der Kleinen Mütter zu finden. Schalte einfach mal für ein paar Stunden ab, dann findet sich alles schon von selbst."
    „Ich weiß nicht ...", zögerte Bré.
    Roan ging zu ihr und klopfte ihr leicht auf die Schulter. „Mach’s einfach, Kleine. Du brauchst es. Wenn du schon unsicher bist in deiner Haltung zwischen dem, was du glaubst tun zu müssen, und dem, was du tatsächlich willst, dann mußt du dir darüber bewußt werden, wofür du dich entscheidest. Einen Konsens finden, meinetwegen auch einen Kompromiß. So lasse ich dich jedenfalls nicht weg."
     
    9.
     
    Erleuchtung Roan Miller fand ihren Gast am nächsten Morgen bei Ponka, der großen alten Dame.
    „Du bist früh auf", stellte sie fest.
    Bré lachte. „Stell dir vor, ich konnte nicht mehr schlafen. Nachdem wir ins Bett gegangen waren, war ich augenblicklich weg wie eine Tote. Und heute fühle ich mich
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