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1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

Titel: 1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
Autoren: Andreas Platthaus
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seiner Regulierung in den Jahren 1913 bis 1925, die den regelmäßigen Hochwasserüberschwemmungen durch den Bau des Elsterbeckens ein Ende bereiten sollte. Dieses künstliche, mehr als zweieinhalb Kilometer lange und hundertfünfzig Meter breite aufgestaute Gewässer hat das gesamte Landschaftsbild westlich der Innenstadt drastisch verändert, sodass es heute unmöglich ist, die dramatischsten Schauplätze des 19. Oktober 1813 wiederzufinden. So steht etwa das Poniatowski-Denkmal zwar genau an dem Punkt, wo in den Tagen nach der Schlacht die Leiche des polnischen Marschalls geborgen wurde, doch es gibt das Gewässer nicht mehr, in dem er ertrank. Deshalb hat die Aufschrift, die mit den Worten anhebt «Hier in den Fluten der Elster hat Fürst Josef Poniatowski sein Leben beendet», etwas Seltsames.
    Es ist das älteste aller erhaltenen Völkerschlacht-Denkmale, denn der eigentliche Gedenkstein mit der pathetischen polnischen und deutschen Inschrift – sie endet mit dem Satz «Dies mit Tränen besprengte bescheidene Andenken hinterließ seinem Führer der Soldat, ein Pole seinem Landsmann» – stammt aus den ersten Monaten nach der Völkerschlacht, und der als Stifter genannte «Soldat» war immerhin ein polnischer General. [458] Sein Stein wurde in den siebziger Jahren im Hof eines nahegelegenen Mietshauses geborgen und am heutigen Standort auf einen neuen Sockel gestellt. Das repräsentativere Denkmal aus dem neunzehnten Jahrhundert, das dort einige Jahrzehnte gestanden hatte, wurde von den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs abgerissen, da sie keine Erinnerung an einen polnischen Helden dulden wollten. Kleine Poller fassen nun diese Gedenkstätte auf dem kleinen Poniatowskiplan ein, auf dem Sockel liegen zwei vertrocknete Rosen. Und etwas weiter Richtung Innenstadt ist zwischen Gründerzeithäusern auf einer Länge von etwa zweihundert Metern durch zwei Metallbänder auf dem Boden eines Fußwegs zwischen hohen Gründerzeitmietshäusern hindurch der Verlauf des Elstermühlgrabens nachgezogen, der hier noch unterirdisch verläuft.
    Am Brückensprengungsdenkmal aber, das ich um Viertel nach elf erreiche, öffnet sich der tiefe Graben des Gewässers. Hier wurde vor wenigen Jahren die Kleine Funkenburg abgerissen, ein 1850 errichtetes Wohnhaus, das die gleichnamige Gaststätte aus der Völkerschlachtzeit ersetzt hatte. Seitdem besitzt der Platz eine unangemessene Größe, aber wenigstens kommt das Denkmal nun gut zur Geltung, das wieder einmal der «Verein zur Feier des 19. Oktober» hatte errichten lassen. Auf einem der für seine Stiftungen typischen hohen Sockeln ist hier eine eiserne Kanonenkugel montiert, die eine neckische vergoldete Blüte krönt – eine befremdlich verspielte Erinnerung ans Unglück von etlichen Tausend Mann, die in der Nähe ertranken oder mangels Fluchtweg in Gefangenschaft gerieten. Es ist der Jahrestag des Ereignisses, das Wetter ist prachtvoll, aber kein Mensch kümmert sich darum, niemand von den Passanten bleibt stehen, kein Kranz wird abgelegt, als um zwölf Uhr genau der Zeitpunkt erreicht ist, als vor hundertneunundneunzig Jahren die Sprengladung unter der Brücke detonierte. Wenigstens aber beschloss der Stadtrat im Jahr 2005, als man die Kleine Funkenburg schleifte, diesen Abschnitt der Jahnallee wieder in Ranstädter Steinweg umzubenennen.
    Von hier aus gehe ich durchs Leipziger Stadtzentrum hindurch auf die andere Seite der Stadt, wo von elf Uhr an am 19. Oktober 1813 die alliierten Angreifer die östlichen Vorstädte stürmten. An die reizvolle Struktur dieser von riesigen Gärten durchsetzten Stadtteile erinnert der Straßenname «Czermaks Garten». In den Pausenanlagen eines Schulzentrums liegt nahezu unauffindbar ein zerklüfteter Findling, ein Gedenkstein für den zwanzigjährigen preußischen Leutnant Carl Ludwig von Borcke, der hier morgens beim Angriff auf Leipzig vor den Augen seines Bruders von französischen Tirailleuren erschossen wurde. Die Aufschrift ist beinahe unleserlich, und unter all den zahlreichen geschmacklosen Skulpturen, die ansonsten noch die Grünflächen des Pausengeländes verunstalten, bleibt das pittoreske Gebilde von den Schülern, die gerade hier den Sonnenschein genießen, unbeachtet.
    Nicht viel weiter, nur zweimal um die Ecke, steht das 1845 von einem Privatmann errichtete und 1863 zum fünfzigsten Jahrestag der Völkerschlacht erneuerte Kugeldenkmal, das seinen Namen den zunächst zwanzig und heute dreiunddreißig Kugeln
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