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1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)

Titel: 1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
Autoren: Andreas Platthaus
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in Deutschland.
    Der am weitesten nach Norden hin aufgestellte Apelstein findet sich am neuen Friedhof, fast schon in Breitenfeld, dem winzigen Dorf, das durch den Sieg des schwedischen Königs Gustav Adolf in einer Schlacht des Dreißigjährigen Kriegs berühmt wurde und deshalb vom symbolbewussten Kronprinzen Karl Johann am 17. Oktober 1813 zum Lagerplatz seiner Nordarmee bestimmt wurde. Auch er wählte dafür den Hügel einer Windmühle, direkt an der Straße nach Delitzsch gelegen (heute erstreckt sich dort ein riesiges Gewerbegebiet, das von der nahen Autobahn 14 profitiert, die Leipzig nördlich umfängt).
    In Wahren, das Blüchers Truppen am frühen Nachmittag angriffen, und im unmittelbar daneben an der Halleschen Chaussee gelegenen Dorf Möckern fanden am 16. Oktober 1813 besonders erbitterte Kämpfe statt. Die Chaussee heißt heute Georg-Schumann-Straße, durchläuft seit hundert Jahren ein durchgehendes Stadtgebiet, das die früheren Grenzen zwischen den Dörfern nicht mehr erkennen lässt, und ist von mehreren Apelsteinen gesäumt, die im neunzehnten Jahrhundert noch an damals ruhigen Plätzen errichtet wurden, heute aber mitten auf dem Bürgersteig der zu allen Tageszeiten dicht befahrenen Ausfallstraße stehen. Auch der «Verein zur Feier des 19. Oktober» wurde hier tätig: 1850 ließ er in Wahren einen weiteren seiner genormten Sandsteinblöcke errichten, auf dem hier aber fünf Kanonenkugeln montiert wurden, vier kleine im Quadrat auf den Ecken, eine große in der Mitte. Dieses Denkmal wurde 1903 zum Opfer der explosionsartigen Entwicklung Leipzigs: Als an seinem angestammten Platz im alten Dorfkern ein Straßenbahndepot gebaut werden sollte, wurde es auf seinen jetzigen, schon beinahe in Möckern gelegenen Standort versetzt. Im Gegensatz zu den weiter auswärts gelegenen Ortschaften Lützschena oder Lindenthal ist in Wahren und Möckern infolge der Verstädterung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kaum eine Spur der alten Dorfstrukturen übrig geblieben.
    Blüchers Armee kämpfte hier bis in die Abenddämmerung, die gegen halb sechs einsetzte. Eine Stunde später war es stockdunkel. Ein weiteres Vordringen wäre am 16. Oktober aber ohnehin unmöglich gewesen, denn noch einen Häuserkampf wie um Möckern hätte das ausgeblutete Korps Yorck nicht bestehen können, und nach Süden war der Weg durch die Niederungen von Elster und Pleiße versperrt. Brücken gab es hier keine, die wenigen Stege über die angeschwollenen Flüsse waren von den Franzosen abgetragen worden. Somit war verhindert, dass die alliierten Truppen auch aus dem Norden auf Lindenau marschierten.
    Dorthin geht mein letzter Weg vor Einbruch der Dunkelheit. Von der einst dörflichen Gestalt hat sich noch weniger erhalten als in Wahren oder Möckern. Lindenau wurde 1891 nach Leipzig eingemeindet, war aber zuvor schon eine prosperierende Gemeinde, in der sich seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Industrie angesiedelt hatte. Bei der Leipziger Stadterweiterung in dieser Richtung wurde hier ein eigenes Zentrum errichtet, das alle Einrichtungen einer selbständigen Stadt bot. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs lebte ein Zehntel der Leipziger Bevölkerung, also an die siebzigtausend Menschen, in Lindenau. Entsprechend viele Wohnhäuser waren seit der Gründerzeit gebaut worden, und die hiesigen drei Apelsteine an Enders-, Karl-Heine- und Saalfelder Straße stehen dadurch nun mitten in Stadtgebieten, die nichts mehr mit den ländlich-beschaulichen Umgebungen gemein haben, die Theodor Apel vor 150 Jahren dazu herausforderten, seine Erinnerungsmale zu setzen, damit die nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden Kämpfe an diesen idyllischen Stätten nicht vergessen würden. Deshalb findet sich in der Leipziger Innenstadt kein einziger Apelstein; die dem Zentrum nächstgelegenen sind jene an Stephanieplatz und Nordplatz, die schon in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ihre heutige großzügige Gestalt gefunden hatten und darum Apels Bedürfnis nach exponiert einsamer Stellung seiner Steine gerade noch entsprachen.

    Der Nordplatz ist denn auch das erste Ziel der Fortsetzung meiner Spurensuche am 17. Oktober 2012, einem Mittwoch, der bis zum frühen Nachmittag noch sonniger werden soll als der Vortag, ehe es dann zumindest zeitweise dünn zu regnen beginnt. Der hiesige Apelstein gilt allerdings dem 18. Oktober 1813, als an dieser Stelle ein polnisches Regiment im Dienste Napoleons das Vorwerk Pfaffendorf, das den nördlichen
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