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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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hätten den Boden dieses Abgrundes erreicht? O, wir können noch unermessen tiefer stürzen. Zum Jammer wird sich die Schmach fügen. Bald wird der Feind triumphieren! Vielleicht sehe ich den Bruder gebunden, verblutend hier vorüberschleppen, vielleicht auch diese Jünglinge, uns selbst; denn ich bin eine Polin, und uns ist unerlöschlicher Haß, unvertilgbare Schmach geschworen. Doch eh' ich diese zarten Hände,« sie deutete auf Lodoiska, »in rauhe Banden geschnürt, ehe ich ihre keusche Schönheit der Tigerwut barbarischer Schergen preisgegeben sehe, eher soll meine eigene Hand sie durchbohren! Eine polnische Mutter ist nicht schwächer als ein römischer Vater – und sie wird vor dem Tode nicht zittern!« Bebend hatte sie vollendet; ihre überlastete Brust mußte sich Luft machen. Sie atmete tief und erleichtert auf und sank dann erschöpft auf einen Sessel.
    Bianka trat zu ihr und umschlang sie mit tröstender Liebe. »Nein, du Edle,« sprach sie aus fester Überzeugung, »dahin soll es nicht kommen. Jetzt will ich es geltend machen, daß ich mich Rußlands Tochter nennen darf. Wer es auch sei, der diese Stadt feindlich, im Sturme gewinne, ich will zu ihm, und er wird uns Schutz gewähren. So weit geht selbst der Grimm des Krieges nicht. Es gibt kein Herz auf dieser Erde, das kalt bei unserm Schmerze bliebe. Auch die rauhen Männer dieses Landes werden sich rühren lassen, und entwinden ihnen meine Bitten nicht das Schwert, so soll es mein Name tun. Ich habe das Recht, ihn geltend zu machen, noch nicht verloren!«
    Indes rückte das Getöse des Kampfes näher und näher. Paul war hinausgeeilt, um zu sehen, von welcher Seite der Angriff geschehe. Er kehrte jetzt atemlos wieder und berichtete: »Ein wilder Kampf entbrennt vor den Toren. Ich sah den Grafen mit dem Marschall Ney flüchtenden Soldaten die Gewehre entreißen und nach der Mauer eilen, um dem Feinde selbst das Eindringen streitig zu machen. Auf dieses Heldenbeispiel sammelten sich die Scharen wieder und fochten, während die andern aus allen Toren abziehen. Schon ist die Straße nach Memel mit Truppen bedeckt. Noch wenige Stunden, und der Feind muß Herr in der Stadt sein.«
    Er hatte kaum vollendet, als die Tür sich rasch aufriß und Rasinski hereinstürzte. »Allmächtiger Gott, mein Bruder!« rief die Gräfin und hing in seinen Armen. Er blutete an der Stirn; sein Gesicht war mit Pulverdampf geschwärzt, doch sein Auge flammte wie das des Löwen, der sich auf seinen Raub stürzt. »Die dringendste Gefahr ist vorüber,« rief er; »einen Augenblick gewann ich zum Abschied von euch. In wenigen Minuten erwartet mich der Marschall wieder. Bald werden die Russen die Stadt besetzen. Zur Flucht ist nicht mehr Raum; darum haltet euch verborgen, bis der erste Sturm vorüber ist. Dann geh' nach Warschau, Schwester; dort wirst du wieder von mir hören. Lebe wohl! Euch, meine Freunde,« wandte er sich zu Bernhard und Ludwig, »rate ich, nach Preußen zu gehen. Für euch ist dies der nächste, sichere Aufenthalt. Unser Weg geht nun auseinander. Wir haben treulich mitsammen ausgedauert – lebt nun Wohl.«
    Sie lagen in seinen Armen; er schämte sich der Tränen nicht, die sein männliches Antlitz benetzten, doch er blieb fest, denn er wollte es bleiben. »Es muß geendet sein,« sprach er nach einer heilig stillen Minute; »ich habe nicht mehr Zeit für alle meine Lieben! Auch ihr lebt wohl, ihr schönen Gestalten! Bianka – Marie!« Bianka, die ihn wie einen Vater liebte, lehnte sich weinend an seine Brust; er küßte ihr die Stirn und legte segnend seine Hand auf ihr Haupt. »Du warst unser holder Schutzengel in namenloser Bedrängnis; deine Nähe war mein Trost. Jetzt reißen uns rauhe Stürme auseinander – mögest du von nun an nur sanfte Pfade wallen!«
    Marie stand in schüchterner Ferne; Rasinski trat ihr einen Schritt näher. »Marie,« redete er sie an, »wir sehen uns zum letztenmal!« Da nahmen Liebe und Schmerz sich ihr heiliges Recht, frei nur sich selber zu gehorchen. Im siegenden Gefühl ihrer Berechtigung sank Marie, hingegeben in Weh und Seligkeit, an das Herz des edeln Mannes, und ihre jungfräuliche Lippe hing an den seinigen. »Mein warst du einen schönen Augenblick, Marie,« sprach er sanft und löste die Umarmung; »nun sei ganz wieder dein! du hattest recht, edles, schönes Herz; zwischen uns braust ein Strom, über den kein Steg führt als der der Schuld. Wohl uns, wir werden ihn nicht wandeln!« Er legte die in Tränen Vergehende

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