174 - Jennifers Verwandlung
es einfach als Tatsache hin, daß es geschehen ist. Meinen Freunden und mir fällt nun die schwierige Aufgabe zu, den Toten wiederzufinden, deshalb bin ich hier.«
Spacek schüttelte den Kopf. »Bei uns ist er mit Sicherheit nicht, Mr. Ballard. Denken Sie, wir bringen wissentlich einen leeren Sarg zum Friedhof?«
»Natürlich nicht, aber ich muß mich natürlich fragen, wann der Tote verschwand«, gab ich zurück. »Sie holten ihn aus Lance Selbys Haus und brachten ihn hierher; ist das richtig?«
Llewellyn Spacek nickte.
»Und dann? Was geschieht mit den Toten im allgemeinen, wenn sie hier anlagen?«
»Wir bringen sie normalerweise zunächst in die Kühlkammer. In diesem Fall konnten wir darauf verzichten«, erklärte der Leichenbestatter, »weil das ja eine Blitzbeerdigung werden sollte.«
Wir saßen in Llewellyn Spaceks großem, sauberem Büro. Alles strahlte nüchterne Kühle aus - der weiße Marmorboden, die weißen Marmorwände, die Chrommöbel.
»Wohin brachten Sie den Toten?« wollte ich wissen.
»In den Kosmetikraum«, antwortete der Bestattungsunternehmer. »Dort werden die Leichen gewaschen, geschminkt, frisiert - eben gefällig hergerichtet. Egal, wie sie zu uns kommen, wenn sie uns verlassen, sehen sie glücklich und zufrieden aus.«
»War der Tote eine Zeitlang unbeaufsichtigt?«
»Kann schon sein, aber er war noch da, als wir uns seiner annahmen.« »Wir?«
»Mr. Ray Perkins ging mir zur Hand«, sagte Llewellyn Spacek.
»Ist Mr. Perkins anwesend?«
Der Bestattungsunternehmer nickte. »Möchten Sie mit ihm sprechen?«
»Nur ein paar Worte«, sagte ich. »Oh, Sie können mit ihm reden, solange Sie wollen, Mr. Ballard. Sie sollen nicht denken, wir hätten irgend etwas zu verbergen.«
»Das tue ich ganz bestimmt nicht, Mr. Spacek«, versicherte ich dem Leichenbestatter, der offenbar um seinen guten Ruf fürchtete.
Es ist ja auch wirklich im allgemeinen keine Empfehlung für ein Beerdigungsinstitut, wenn eine Leiche abhanden kommt. Diesen speziellen Fall mußte man jedoch mit anderen Maßstäben messen.
Llewellyn Spacek erhob sich. Seine einladende Handbewegung hatte etwas Feierliches, Salbungsvolles an sich. 25 Jahre in einem solchen Beruf färben ab. Vermutlich konnte sich Spacek gar nicht mehr »normal« benehmen.
Wir verließen sein kühles Büro. »Ich darf Vorgehen«, sagte der Bestattungsunternehmer freundlich und zeigte mir den Weg zum Kosmetikraum.
Wir schritten über einen grauen Läufer, den Spacek eigens für sein Institut hatte anfertigen lassen. In Abständen von jeweils einem Meter stand immer wieder EWIGER FRIEDE… EWIGER FRIEDE… EWIGER FRIEDE…
Eine schneeweiße Tür trug die Aufschrift KOSMETIKRAUM, und ich hoffte, daß Ray Perkins nicht gerade bei der Arbeit war, denn ich konnte leichten Herzens darauf verzichten, ihm dabei zuzusehen.
Llewellyn Spacek öffnete die Tür, und mein Blick fiel in einen Raum, der von hellem Neonlicht überflutet war.
Leider hatte Perkins zu tun. Er war gerade dabei, eine männliche Leiche zu rasieren, eingeseift hatte er sie schon.
»Mr. Perkins, das ist Mr. Ballard«, machte uns der Leichenbestatter bekannt.
Ich musterte den Angestellten. Er war leicht übergewichtig, hatte ein fliehendes Kinn und trug einen weißen Arbeitskittel.
»Mr. Ballard möchte mit Ihnen reden, Mr. Perkins«, erklärte Llewellyn Spacek.
Ray Perkins machte eine ähnlich salbungsvolle Handbewegung wie sein Chef. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich dabei weiterarbeite, Mr. Ballard.«
»Nicht im mindesten«, rang ich mir ab.
Perkins wußte, daß Kolumban verschwunden war, und Llewellyn Spacek sagte ihm, daß ich mich mit ihm darüber unterhalten wollte.
Behutsam setzte Perkins das Rasiermesser an die Wange des Toten und schabte ihm den Bart ab. Es schien ihm auch jetzt noch eminent wichtig zu sein, daß der Leichnam keine Schnittwunde abbekam.
»Kolumban lag also hier auf diesem Tisch«, sagte ich.
Ray Perkins nickte. »Wir nahmen uns seiner ganz besonders an.«
»Warum?« wollte ich wissen.
Ray Perkins schabte die zweite Wange glatt. »Wie Sie wissen, war der Mann verletzt. Mr. Spacek bat mich, die Wunde, die ziemlich häßlich aussah, zu versorgen.«
»In welcher Weise?«
»Ich habe sie zugenäht«, antwortete Perkins und wischte den Rasierschaum vom Messer ab.
»Sie werden vielleicht denken, wir hätten uns diese Mühe sparen können, weil wir dem Toten hinterher ohnedies einen Anzug überzogen«, meinte der Bestattungsunternehmer, »aber
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