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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm
Autoren: Stephanie Seidel
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auf.
    Helfende Hände zogen Aruula ins Boot. Sie war restlos erschöpft, und doch fühlte sie sich glücklich.
    Wudan sei Dank!, dachte sie. Es ist vorbei.
    Selten zuvor hatte sich die Barbarin so geirrt.
    ***
    15. August, 15:30 Uhr
    Straße von Malakka, Höhe Ipoh (Malaysia West)
    »Mann! Diese Hitze ist ekelhaft!«, maulte Daa'tan. Er ahnte nicht, dass genau in dieser Minute, etwa hundert Kilometer weiter nördlich, ein Krieger namens Yngve Ähnliches sagte. Es wäre ihm auch egal gewesen: Die Befindlichkeit Anderer interessierte den Zwölfjährigen nicht. Er hatte genug mit sich selbst zu tun. Daa'tan wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Ich will sofort zurück nach Induu!«, forderte er und starrte dabei auf den zuckenden Rücken seines Bewachers. Grao'sil'aana hing über der Reling und würgte sich das Mittagessen aus dem Wirtskörper: Daa'tan stupste ihn an. »Hörst du mir zu, Grao?«
    (Ich höre. Wir kehren nicht um, das hatte ich schon erörtert.
    Nun geh und beschäftige dich mit irgendetwas!) Daa'tans grüne Augen schillerten vor Schadenfreude, als sich Grao'sil'aana ein zweites Mal röhrend erbrach.
    Der Daa'mure vertrug die Seefahrt nicht! Endlich zeigte er mal eine Schwachstelle!
    Daa'tan legte seine Hand auf die Reling, gleich neben die sonnengebräunte Pranke des Daa'muren.
    Grao'sil'aana hatte sich als Händler aus Induu getarnt, so fiel er am wenigsten auf in dieser Gegend. Ein kleines Säckchen an seinem Gürtel legitimierte ihn. Darin waren Perlen verstaut – mit der Hälfte davon hatte Grao Sahib, wie der Daa'mure so respektvoll wie ahnungslos von der Besatzung genannt wurde, eine Anzahlung auf diese Schiffspassage geleistet, der Rest würde bei der Ankunft im Hafen von Bono den Besitzer wechseln.
    Sein Schützling sah aus wie immer: schlank, nahezu dünn; mit Aruulas schwarzen Haaren und dem gleichen Grübchen am Kinn wie Commander Matthew Drax, einer seiner beiden Väter. Der zweite war ein Stamm genetisch manipulierter Pflanzen-DNS, mit der sich Daa'tans Mutter infiziert hatten. [2]
    Sinn und Zweck des so entstandenen Prototyps war ein streng gehütetes Daa'murengeheimnis. Es ließ sich aber schon erkennen, dass Daa'tans finale Aufgabe ein gewisses Maß an Erbarmungslosigkeit erfordern würde.
    Er übte bereits.
    »Sieh nur die Wellen, Grao!«, rief der Zwölfjährige.
    »Wie sie schäumen und das Schiff zum Schwanken bringen! Rauf, runter, rauf, runter – das macht Spaß, oder? Oh, und ich glaube, die Masten fallen gleich um! Guck mal hoch!«
    Der Daa'mure löste eine verkrallte Hand von der Reling. Sein Gesicht war fahl, die Augen tränten, sein Magen rebellierte. Grao'sil'aana packte Daa'tan am Hemd und riss ihn zu sich. Einen Moment lang vergaß er sogar seine bevorzugte Kommunikationsebene.
    »Verschwinde!«, knurrte er. »Augenblicklich! Sonst werfe ich dich über Bord!« Wie es schien, verspürte Grao'sil'aana Zorn – eine für Daa'muren untypische Emotion. Man musste es ihm nachsehen: Seit dem Bombeninferno am Kratersee letzten Oktober war er praktisch von den anderen Daa'muren abgeschnitten und allein. Und musste sich zusätzlich um einen Satansbraten kümmern, der ihm das Leben zur Hölle machte.
    Daa'tan trollte sich. Unter Deck gab es eine Aufgabe für ihn, die Freude machte und lohnenswert war.
    Der Junge wanderte nach achtern, an zwei Kanonen und an straff geblähten Segeln vorbei. Unterwegs warf er bedauernde Blicke auf den Umriss in diesiger Ferne, der eigentlich so viel versprechend war und doch bisher nur enttäuscht hatte.
    Sumra.
    Die Pirateninsel.
    Daa'tan hatte auf eine Begegnung mit den verwegenen Kerlen gehofft. Er war geübt in mentaler Beeinflussung, und was hätte das für eine schöne Seeschlacht werden können! Doch von Westen her kam nichts als Wind.
    Warm und immer stärker anschwellend. Wenigstens brachte er die Wellen in Aufruhr und Grao'sil'aana zum Kotzen, diesen langweiligen Aufpasser!
    Der Junge spuckte über die Reling und verfolgte den Flug der Schaumbläschen bis mittschiffs, wo das Gesicht des Daa'muren im Weg war. Grao'sil'aana wischte sich über die Wange und drehte wütend den Kopf, wie in Zeitlupe. Daa'tan blickte hastig zum Himmel hoch. Dann wandte er sich ab, schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zum Niedergang.
    Daa'tan und der Daa'mure waren seit anderthalb Jahren zusammen. Sie hatten so manches Abenteuer auf ihrer langen Reise erlebt und etliche Krisen durchgestanden, dennoch waren sie sich nicht grün. Der Junge
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