Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
167 - Tor in die Vergangenheit

167 - Tor in die Vergangenheit

Titel: 167 - Tor in die Vergangenheit
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
Längen bis zur Wasseroberfläche.
    Es musste geschehen, bevor der Bulle sprang! Gilam'esh stemmte seine langen Zehen in die Brustschuppen des Tieres, stieß sich Schritt für Schritt ab und wickelte zugleich das Zugseil um drei oder vier weitere Windungen um sein Handgelenk. Als er ganz sicher war, direkt unterhalb der Kehlschuppen zu hängen, presste er sich zum letzten Mal dicht an den riesigen Körper, schöpfte Kraft und stieß sich dann ab.
    Zwei Längen sprang er vom Körper des Wulrochbullen weg, mehr ließ die Strömung nicht zu – mit schmerzhafter Wucht schlug sie ihn sofort wieder zurück auf die Schuppen des Tieres. Genau diese Wucht nutzte Gilam'esh für seinen Stoß – er rammte den Dreispieß zwischen die durchsichtigen Schuppen in den Hals des Dickzahn-Wulrochs.
    Ein Augenmembranzucken später schoss der Bulle aus dem Wasser in die Rotgrundnacht. Warm sprudelte sein Blut über den jungen Jäger…
    ***
    Vergessen war das gespenstisch rote Licht in der Schaltzentrale, vergessen die monotone Stimme, vergessen auch das Hologramm. Die ovale Erhebung am Rand der Plattform unter dem schwebenden Kristall fesselte ihre Aufmerksamkeit. Inzwischen war auch der Uralte davor in die Hocke gegangen.
    »Ein Bibliothekszugang?« Chandra blickte sich in der Schaltzentrale um.
    »Erwartest du, dass eine Tür aufgeht?«, fragte Drax.
    »Warum nicht?« Chandras Forschergeist brannte. Die Historikerin in ihr war erwacht. »Entweder das – oder der Kristall sollte jetzt eine Menge Daten projizieren.« Sie trat zurück, ihr Blick glitt über die Wände.
    Auch Sternsang erhob sich und bewegte sich erwartungsvoll vom Kristall weg in die Mitte des Raums.
    Doch nichts tat sich.
    »Du musst das Feld berühren, Erdmann«, sagte der Uralte.
    »Damit öffnest du wahrscheinlich das Archiv.«
    Matt ging wieder vor der Plattform in die Hocke. Sein Blick wanderte zwischen dem Kristall, dem erhöhten Leuchtfeld und den Wänden der Schaltzentrale hin und her. Er zögerte.
    Chandra blickte auf ihn hinab. »Was ist los, Commander? Drück doch endlich darauf!« Ihre Vorsicht von vorhin schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
    »Also gut.« Der Mann von der Erde streckte die Hand aus.
    Er leckte sich über die plötzlich spröden Lippen. Seine Handfläche berührte die ovale Erhebung…
    … und im gleichen Moment streikte seine Zunge. Ihm war, als würde ein Stromschlag ihn durchzucken. Heiß schoss es ihm von der Rechten aus in Schulter und Brust, und von dort aus in Schädel und Zehen. Eine Kraft, der er nichts entgegen zu setzen hatte, warf ihn zurück – und nach oben. Seine Sohlen verloren den Kontakt mit dem Boden.
    »Matt…!«, schrie Chandra auf, bevor Sternsang sie zurückriss.
    Im selben Augenblick wuchs ein flimmerndes Feld aus der Decke des Raums und hüllte Drax vollständig ein. Etwas zerrte an seinem Hirn. Ihm war, als hätte jemand die Saugbürste eines Zehntausend-Watt-Staubsaugers zwischen seinen Schädelknochen und die Hirnhaut gezwängt. Er empfand einen gewaltigen Sog. Es wurde dunkel – und dunkler – und immer noch dunkler. Die unsichtbare Kraft riss ihn in schier unendliche Tiefen.
    Matthew Drax fiel und fiel und fiel. Nur das ferne Raunen einer Stimme begleitete seinen Fall – einer Hydree-Stimme:
    »Dein Leben sei mein Leben. Erfahre die Vergangenheit. Denn der Geist ist zeitlos…«
    ***
    Tödlich getroffen und schon sterbend vollendete der Dickzahn-Wulroch-Bulle den Halbbogen seines Sprungs durch die kalte Nachtluft über den Wogen. Und mit ihm der Reifekandidat.
    Gilam'esh nutzte die Gelegenheit, schloss die Kiemen und saugte die Nachtluft in sich hinein. Seine Lungen entfalteten sich. Länger als diesen einen Atemzug dauerte der Flug nicht.
    Im Rhythmus des Walroch-Herzschlags schoss das Blut aus der Halsschlagader, und jede Fontäne spritzte Gilam'esh ins Gesicht und gegen die Brust. Der warme, klebrige Saft raubte ihm den Halt am Schaft seines Dreispießes. Bevor er ihn ganz aus dem Fleisch des Bullen reißen konnte, rutschte er ab und stürzte unter dem Tier ins Meer zurück. Weil auch dessen Schädel und Stoßzähne sich wieder der Wasseroberfläche zuneigten, zog er das Netz vom Dickzahn, und riss es mit sich in die aufgeschäumten Fluten.
    Trotz der Sterne, die Gilam'esh für kurze Zeit im Himmel hatte glitzern sehen, war es dunkel, stockfinster sogar, als ihn die Wirbel des vorbei rauschenden Riesenkörpers mit in die Tiefe zogen. Er hörte das lang gezogene Gurgeln eines letzten Ausatmens, ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher