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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
Autoren: Mary Gentle
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versucht, die Gezeiten zu beherrschen. Wie vergeblich ist
mein Bemühen? Bin ich ein Wahnsinniger am Meeresufer wie in dem Stück,
das ich einst gesehen habe? Nur der Lauf der Zeit wird diese Fragen
beantworten.
    18. Februar 1608 (28. Februar 1609 nach gregorianischem, Kalender)
    Alle Berechnungen sind neu gemacht und vollständig. Ja,
es wird funktionieren. Es ist an der Zeit, mich mit jenen meiner
Landsleute in Verbindung zu setzen, die an dieser Sache teilhaben
müssen. Ist das getan und sind die notwendigen Monate verstrichen, ihr
Vertrauen zu erwerben, bleibt mir nichts anderes zu tun, als die
Ereignisse in Frankreich abzuwarten. Dann werde ich handeln.
    Ich wandere nun durch meinen anderen Garten und warte auf die ersten
Vorboten des Frühlings, die sich dieses Jahr ein wenig Zeit lassen.
Noch immer ziert Frost den Marmor, und die Sonne wirft nur selten den
Schatten des Gnomons auf die Sonnenuhr. Ich wünschte, ich könnte mir
den Luxus gönnen, an Omen zu glauben.
    Verschiedene Leute machen ihren Einfluss geltend, um mich endlich zu
einem Mitglied des Royal College of Physicians zu ernennen, damit ich
meine Heilkunst mit ihrem Segen praktizieren kann. Das Einsamsein habe
ich mittlerweile gelernt; nun muss ich nur noch lernen, mich wieder in
Gesellschaft zu bewegen, doch hinter einer makellosen Maske, die ich
nicht fallen lassen darf.
    Nur eine Chance. Das Jahr 1610 bringt die Entscheidung. Nächstes
Jahr. Eine Gelegenheit, die Lawine aufzuhalten, die auf uns zu donnert.
Gott –, wenn es denn einen gibt – leite meine Hand.

Rochefort: Memoiren
Eins
    Nicht jedermann beginnt seinen Plan, den König von Frankreich zu töten, damit, den eigenen Diener zu schlagen.
    »Messire Valentin!«, protestierte Gabriel Santon und starrte mich vom Boden aus an, als hätte das Schicksal ihn in den Leib getreten und nicht ich.
    Ich sehe schon, dass ich das besser machen muss.
    Ich ging zum Fenster und spürte die vom Boden aufsteigende Kälte durch meine Hose hindurch. Wäre ich entschlossener gewesen, hätte ich erst meine Stiefel angezogen und ihn dann getreten.
    Frühling 1610: Die Fensterläden standen offen und ließen den Rauch der frühmorgendlichen Kochfeuer hinein, die Paris wie stets in Nebel hüllten. Trotzdem sah ich den Schatten meines Beobachters unter dem überhängenden ersten Stock des Hauses auf der anderen Straßenseite, wo er (oder ein anderer Mann der Königin) die ganze Nacht über schlaflos gewacht hatte.
    »Rasier mich«, befahl ich knapp und wandte mich von der kühlen Mailuft ab. Der Geruch von Pferdemist folgte mir wie auch das Krähen der Hähne, die den Sonnenaufgang verkündeten. Ich setzte mich auf die eine, kahle Bank im Raum und wandte Gabriel den Rücken zu.
    Ich kann nicht weg von hier, ohne beobachtet zu wenden, egal ob durch den Vorder- oder den Hintereingang, dachte ich, wie ich es schon die letzten fünf Stunden über gedacht hatte, seit der Mann von Königin Maria di Medici mich mit breitem Grinsen an der Haustür abgesetzt hatte. Was also soll ich tun?
    Gabriel drückte mir einen Krug Bier in die Hand. Dann trat er hinter mich, und ich hörte das Klappern der Waschschüssel, als er diese mit heißem Wasser aus der Küche füllte. Ich könnte riskieren, ihn zum Einkaufen zu schicken …
    … aber dann würden sie glauben, ich hätte ihn mit einer Warnung losgeschickt, und würden ihm ein Messer in den Rücken rammen, bevor er das Ende der Straße erreicht hat.
    Gabriels Schritte hallten schwer auf dem Holzfußboden wider, wie es einem alten Soldaten geziemte, der in meinen Diensten fett geworden war. Vor fünfzehn Jahren war Gabriel weit dünner gewesen, als er während des Krieges in den Niederlanden einen närrischen Fähnrich gefunden hatte, der auf der Suche nach einem edlen Tod gewesen war. Ich glaube, er hat mich ein-, zweimal zu Boden geschlagen, während er mich davon überzeugt hat, dass ein Skandal schneller stirbt als ein Mensch und dass man Verachtung überleben kann. Ich erinnere mich kaum noch daran; ich war damals sturzbetrunken. Na ja, auf jeden Fall war ich betrunken genug, um zu entschuldigen, dass mein Korporal mich genauso rüde belehrt hatte, wie er es mit den Bauernjungen machte, die uns als Soldaten dienten – zumal er mir dadurch das Leben gerettet hatte.
    Das Bier war kühl und schmeckte rauchig. Gabriels unwirsche Stimme hallte in meinem Ohr wider.
    »Kopf zurück, Messire. Kinn nach oben.«
    Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass es noch nicht
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