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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
Autoren: Mary Gentle
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funktioniert hatte; dass er mich nicht um eines Fluches und eines Trittes willen verlassen würde. Sein Tonfall sagte eindeutig: Messire hat letzte Nacht getrunken. Messire hat beim Würfeln Geld verloren, und nun ratet mal, an wem er seine schlechte Laune auslässt? Am armen Gabriel. Wie immer.
    Die scharfe Klinge folgte der Seife über mein Kinn. Ich saß vollkommen still, wie man es nun einmal macht, wenn man ein Messer an der Kehle spürt. Jeden Morgen seit fünfzehn Jahren hätte Gabriel mir die Halsschlagader durchtrennen können, und ich habe seine Hand nie zittern sehen. Niemals, wenn ich jetzt darüber nachdenke, und mich an all die Dinge erinnere, die er in den vergangenen Jahren gesehen hat, und ich habe eine Profession, die einen zittern lässt.
    Das Kratzen der Klinge über die Stoppeln und die wärmer werdende Luft im Raum an diesem Morgen des 14. Mai machten mich nervös. Ich machte mir eine Notiz im Kopf. Ich musste Gabriel loswerden, weil nun kein Mann in meiner Nähe sicher war. Ich musste handeln, als würde ich dem Befehl von Königin Maria folgen, sonst würden mich ihre Männer töten und ich hätte keine Möglichkeit mehr, die Nachricht von ihren Plänen zu übermitteln.
    Und das hieß, ich musste die Männer, die mich in ihrem Namen beobachteten, davon überzeugen, dass ich tatsächlich Anstalten machte, ihren Gemahl Heinrich zu ermorden, den vierten seines Namens, den man auch als Heinrich von Navarra kennt, König von Frankreich.
    Ein Handtuch wurde um mein Gesicht geschlungen und ließ nur den Schnauzbart und den kleinen Spitzbart frei, die ich zur Zierde trug. Ich spürte, wie Gabriel mein schweres Haar ergriff und nach Parasiten suchte, wie sie in einer solchen Unterkunft beheimatet sind. Ich war eitel genug, um mein Haar sauber zu halten und wie bei Hofe lang zu tragen, zumal sich mit vierzig Jahren noch keine graue Strähne darin fand – und ein Mann muss in jenen Dingen eitel sein, in denen er eitel sein kann.
    »Geht Ihr heute ins Arsenal?«, erkundigte sich Gabriel in beiläufigem Ton und trat mit meinen Manschetten vor mich. »Oder ist Seine Gnaden der Herzog nun in der Bastille?«
    Ich schlug ihm das Leinen aus der Hand, gefolgt von einem Rückhandtreffer mitten ins Gesicht.
    »Was geht es dich an, wo der Duc de Sully sich aufhält, kleiner Mann?«
    Gabriel bückte sich, protestierte, dass er es nicht böse gemeint habe, und knurrte gleichzeitig leise vor sich hin. Ich stand auf. Einen Augenblick lang drehte mir eine düstere Vorahnung den Magen um. Was, wenn ich Gabriel nicht retten kann? Was, wenn ich den Herzog nicht retten kann?
    Dass ich Angst hatte – ich, Rochefort –, machte mich wütend.
    Zwölf Stunden zuvor hatte ich keine Angst gehabt, als ich einer anonymen Botschaft nach Les Halles gefolgt war. Das war nichts Ungewöhnliches für jemanden mit meinem Beruf, und die Männer, die ich dort traf, versuchten klugerweise nicht, mir meine Waffen abzunehmen. Bewaffnet betrat ich den trüben Schankraum der Taverne, duckte mich durch die Tür und blickte zu dem Mann, der dieses Treffen vorgeblich anberaumt hatte – und sofort erkannte ich die nur unzulänglich als Hofdame verkleidete Florentinerin an ihrem teuren Mantel und der Art, wie sie mit dem Fuß wippte.
    Fast wäre ich versucht gewesen zu sagen: »Guten Abend, Euer Majestät.« Maria di Medici, seit zehn Jahren König Heinrichs Gemahlin, war voller Selbstgefälligkeit, nachdem sie nun endlich zur Königin gekrönt worden war. Letzteres hatte sie dem schwelenden Konflikt in Jülich-Kleve zu verdanken. Der König war außer Landes gezogen und hatte sie daher mit dieser Autorität bedacht.
    Ich nahm an, dass sie zur Feier ihrer um ein Jahrzehnt verzögerten Krönung nun die Diener ihrer Feinde jagen wollte und mich deshalb zu sich bestellt hatte. Der Herzog, mein Herr, war nicht ihr einziger Feind bei Hofe, doch sicher ihr mächtigster. Niemand erwähnte den Namen des Königs, ohne im gleichen Atemzug auch den seines Freundes Sully zu nennen.
    Die Nacht und eine Taverne in Les Halles sind sicherlich weder Zeit noch Ort, um ohne Schwert zu sein oder besser noch in Begleitung eines halben Dutzends Bewaffneter. Auch wenn es mich überraschte zu sehen, wie Königin Maria sich als Harun al-Raschid unter ihre Untertanen mischte, so überraschte es mich doch nicht, zehn Männer mit Schwertern und Pistolen an Türen und Fenstern zu entdecken. Doch der erste Satz des hinter einer Maske verborgenen Höflings, der ihr offenbar
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