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160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut

160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut

Titel: 160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
Autoren: Deborah Martin
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war, verlieh es doch auch einen wunderbar süßen Atem. Abby nahm ihre kleine Flasche aus dem gewebten Beutel, den sie an einer Kordel um ihr Handgelenk trug, und gab ihrer Dienerin das Fläschchen.
    Mrs. Graham öffnete es, nahm einen Schluck, schnitt eine Grimasse und gab es Abby zurück. „Das Zeug schmeckt wirklich widerlich.“
    „Aber der Geruch macht das wieder wett, finden Sie nicht?“ Abby setzte die Flasche an ihre Lippen, atmete tief das betörende Aroma von Rosmarin und Orangenöl ein und nahm dann einen kleinen Schluck.
    Die Schritte waren auf halbem Wege verstummt, und wieder war Gemurmel zu vernehmen. Abby ließ die Flasche schnell in ihrem Handbeutel verschwinden. Warum kam Lord Ravenswood nicht einfach zu ihnen?
    „Wie schaue ich aus?“ Als sie an ihrem zerknitterten Reisekleid herunterblickte, stöhnte Abby. „Oh, wie furchtbar! Ich möchte nicht, dass er mich so sieht!“
    „Wenn man bedenkt, welche Strapazen Sie auf sich genommen haben, um überhaupt hierher zu kommen, machen Sie dafür einen sehr hübschen Eindruck.“ Mrs. Graham stellte sich vor sie und strich Abbys schwarzen Rock aus geripptem Taft glatt. „Sie hätten mich Ihr Korsett enger schnüren lassen sollen. Dieses Kleid muss ordentlich geschnürt sein, um richtig zu fallen.“
    Abby schnaubte. „Ich platze jetzt schon aus allen Nähten und kann kaum atmen.“
    Mrs. Graham schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Sie sind es nur nicht gewohnt, das ist alles. Ihre Mutter, Gott hab sie selig, hätte Sie nicht mit ihren seltsamen Vorstellungen davon abhalten sollen, sich ordentlich zu kleiden.“
    „Seltsame Vorstellungen“ war Mrs. Grahams höfliche Umschreibung für alles, was Abbys Mutter, die dem Stamme der Seneca angehörte, sich von den Vorstellungen und Traditionen der Indianer bewahrt hatte. „Mama hatte Recht damit, dass Korsetts nicht gesund sind“, entgegnete Abby.
    „Aber feine Damen müssen sie tragen, vor allem in England. Sie wollen doch nicht, dass diese Engländer denken, Sie wären irgendein Mädchen vom Lande, das nicht dafür taugt, eine Viscountess zu sein, oder?“
    „Was hat das zu bedeuten?“ polterte eine tiefe Stimme hinter ihnen los.
    Mit einem kleinen Schrei wirbelte Mrs. Graham herum, und Abby fuhr erschrocken zusammen. Hinter einem Treppenabsatz tauchte der Viscount persönlich auf, den untadeligen Mr. McFee an seiner Seite.
    Mein Ehemann, rief Abby sich bei dem Anblick Seiner Lordschaft ins Gedächtnis. Und der Himmel stehe ihr bei, was für ein Mann! Sie hatte ihn noch nie für einen offiziellen Anlass gekleidet gesehen: Seine breiten Schultern füllten den doppelreihigen Frack mühelos aus, und der Stoff seiner figurbetonten Hosen spannte sich über seinen muskulösen Beinen.
    Bis auf das Hemd war er ganz in Schwarz gekleidet. Seine dunkle Kleidung, die silbergrauen Augen und sein sich rasch verfinsterndes Gesicht erinnerten sie an Hino, den Donnergott aus den Erzählungen der Seneca-Indianer, die sie von ihrer Mutter kannte. Hino, der Blitz, Donner und Sturm in sich vereinte.
    Der Viscount kam eilig näher, und als er gebieterisch vor ihr stand, musste sie hörbar schlucken. Sie hatte vergessen, wie groß er war. Und wieso blickte er sie so streng an? Das hatte er noch nie getan. „Mylord, es scheint, dass wir Sie überrascht haben, aber …“
    „Das haben Sie tatsächlich.“ Seine knappen Worte ließen sie frösteln. Dann wanderte sein Blick von ihrem Gesicht weiter nach unten. „Sie tragen Trauer.“
    Sie nickte. „Papa ist vor zwei Monaten gestorben.“
    Sein finsteres Gesicht hellte sich auf. „Dann möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen.“
    „Danke. Es war natürlich absehbar, aber dennoch … vermisse ich ihn.“
    „Natürlich tun Sie das“, sagte er mit teilnahmsvoller Stimme.
    Gott sei Dank! Für einen Moment hatte sie ihn für einen Fremden gehalten und nichts mehr von dem aufmerksamen Gentleman in ihm gesehen, den sie in Amerika kennen gelernt hatte.
    Er kam näher, und ihr schlug sein vertrauter Duft von Bergamotte entgegen.
    „Der Tod kommt immer unerwartet, meine Liebe, ganz gleich, wie sehr man versucht, sich darauf vorzubereiten.“
    Seine Anteilnahme ließ ihr die Tränen in die Augen steigen. Sie wischte sie weg, und sein Gesicht nahm einen noch sanfteren Ausdruck an.
    Er drückte ihr sein Taschentuch in die Hand. „Ich verstehe jetzt, weshalb Sie hier sind. Ich vermute, dass Sie nach England gekommen sind, um mit meinem Bruder über geschäftliche
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