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1567 - Die Auserwählten

Titel: 1567 - Die Auserwählten
Autoren: Unbekannt
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ihrer Mutter hatte sie immer etwas gefühlt ... etwas, das anders war als bei dem Rest der Leute, die ab und zu ihr Haus besuchten. Und in Bury Comansors Fall war dieses Etwas extrem ausgeprägt.
    Er hatte das Talent. Er war ausgebildet. „Wir warten schon eine ganze Weile auf dich, Hagea."
    „Und was tut ihr hier?"
    „Wir beobachten Insekten", sagte der Junge unbekümmert.
    Hagea büßte immer mehr ihrer zerbrechlichen Sicherheit ein. „Was für Insekten?" fragte sie verständnislos. „Die da unten."
    Bransor Manella zeigte auf einen kleinen Stock von Simmets. Die zwei Millimeter langen Räuber hatten gerade einen neuen Stamm gebildet. Die Arbeiter bauten ihrer Königin eine Kammer im Zentrum des Stocks, und spätestens gegen Abend würde ein Wall aus Steinchen den besten Schutz bilden, den es gegen feindliche Kriechinsekten gab. „Faszinierend, nicht wahr?" murmelte der Alte. „Ich könnte den Simmets den ganzen Tag zusehen."
    „Warum?" Hagea setzte sich vor die beiden auf den heißen Boden, so daß der Stock in ihrer Mitte lag. „Du bist doch nicht wegen Insekten hier?"
    „Nein. Aber ich lerne von ihnen." Bury Comansor zupfte mit grobknochigen Fingern an seinem Gesichtshaar. Er war früh ergraut, die Färbung in seinem Gesichtshaar war nur noch lückenhaft erkennbar. „Man kann aus dem Kleinen ebensogut Schlüsse ziehen wie aus allem, was groß und imposant ist. Was denkst du, Hagea, wird bis heute abend geschehen?"
    Sie starrte angestrengt auf das wimmelnde Durcheinander der Raubinsekten. „Mit den Simmets? Nun, der Stock ist dann fertig. Die Königin frißt die Arbeiter. Dann zieht sie sich zur Eiablage in die Schutzkammer zurück, und ein paar Tage später schlüpft der komplette Stamm von neuem. Dann haben die Arbeiter die Grundlage zum Überleben des ganzen Volkes geschaffen."
    „Ja ... Sehr wahrscheinlich wird es so sein. Wenn es mir nicht einfällt, den Fuß zu heben und den ganzen Stock zu zertreten."
    „Warum solltest du das tun?"
    „Ich habe keinen Grund. Vielleicht aus Achtlosigkeit. Ich will auf etwas anderes hinaus.
    Warum, denkst du, machen wir Linguiden es nicht wie die Simmets?"
    „Weil unsere Art eine andere ist."
    „Das ist wahr ..."
    „Aber du hast mir erklärt", warf Bransor Manella mit heller Stimme ein, „daß die Wahrheit immer mehrere Schichten hat."
    Bury Comansor hob den Kopf. Sein Blick ruhte sekundenlang auf dem Jungen; und Hagea war sicher, in diesem Blick Stolz zu erkennen. „Das ist richtig, Bransor. Gewiß ist unsere Art eine andere als die der Insekten. Doch genauso gibt es auch Gemeinsamkeiten."
    Seine nächsten Worte galten wieder Hagea: „Wir Linguiden können uns über die Insekten nicht erheben, wir wollen es auch gar nicht, wenn wir - klug sind. Letzten Endes verhalten sich die Simmets so, wie sie müssen, um zu überleben. Unserer Rasse ist ein starkes Harmoniebedürfnis angeboren ?auch wir versuchen zu überleben. Ich bin ein Arbeiter. Auch Bransor Manella wird ein Arbeiter sein. Darin liegt nichts Schlechtes, denn es ist das einzige, was uns glücklich machen wird."
    „Du meinst ... auch ich soll eine Arbeiterin sein? Eine, die gefressen wird?"
    Bury Comansor gab keine Antwort.
    Hagea schüttelte langsam den Kopf. Im Gegensatz zu dem Alten fühlte sie sich entsetzlich klein, und die Sonne brannte so heiß, daß sie kaum noch denken konnte. „Nein, das will ich nicht.
    Ich ziehe es vor, zum geschlüpften Volk zu gehören."
    „Aber du hast das Talent. Ich höre es, ich sehe es. So wie Bransor, ja; vielleicht im selben Maß!"
    „Es interessiert mich nicht", entgegnete sie störrisch. „Hast du schon einmal versucht, ein einziges Wort, einen Ausdruck für sich zu betrachten? Ihn zu drehen und von allen Seiten zu betrachten? Die tausend Bedeutungsfacetten eine nach der anderen zu erschließen? Ein einziges Wort. Was kannst du damit anstellen?"
    „Alles, was ich will", gab Hagea zögernd zurück. „Ich kann ihm neue Bedeutungen geben, ich kann damit Wirkungen erzielen. Wenn ich dieses Wort in einen Zusammenhang stelle, ist es ein Werkzeug. Ich muß genau überlegen, wie ich es einsetze."
    „Ich sehe, daß du begriffen hast. Doch es gibt noch so vieles mehr, was man dir über Worte erzählen kann. Und über Gesten, über Mimik. Über die Macht der Worte, über die Zeichen. Einiges hast du selbst schon herausgefunden. Aber auf dieser Insel beschäftigen sich die Lehrer damit, jeden Tag Sprache zu vermitteln. Ich weiß, daß dich das reizt. Was denkst
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