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155 - Kriminalfall Kaprun

155 - Kriminalfall Kaprun

Titel: 155 - Kriminalfall Kaprun
Autoren: Uhl Hannes
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gedrängt. Die 161 Zugestiegenen imZug reichen aus, um die Menschen mit ihrer Skiausrüstung Schulter an Schulter stehen zu lassen. Sie können sich kaum rühren.
    »Jetzt geht’s los«, ruft jemand, als der Zug anfährt. »Bei dem Wetter«, sagt ein anderer Fahrgast, »wäre es eigentlich gescheiter gewesen, mit der Gondel zu fahren.«
    30 Meter nach dem Losfahren schlägt ein Mann neben Steiner Alarm: »Schau mal, da hinten raucht es doch heraus.«
    Steiner streckt sich und blickt in die talseitige, unbesetzte Führerkabine unter ihm. Was er sieht, beunruhigt ihn noch nicht. Der hellgraue Rauch, der bei den Armaturen austritt, hat vielleicht das Ausmaß von zwei, drei brennenden Zigaretten. »Nicht so schlimm«, einigen sich die beiden, »am besten Ruhe bewahren.«
    Steiner schaut nach oben, nimmt Blickkontakt zu den anderen seiner Reisegruppe auf. Aber was da in der Führerkabine vor sich geht, lässt ihm keine Ruhe. Was qualmt da? Die Rauchentwicklung hat in den wenigen Sekunden erheblich zugenommen. Dabei ist der Zug gerade erst auf halbem Weg zum Tunnelportal, noch unter freiem Himmel. Ein ihm unbekannter Mann, der auf der anderen Zugseite beim zweiten kleinen Fenster in die Führerkabine sehen kann, ruft jetzt für alle gut hörbar: »Ruhig! Keine Aufregung, wir müssen Ruhe bewahren.« Er kramt in seiner Skijacke, holt ein Handy heraus und will telefonieren. Das muss ein Einheimischer sein, denkt sich Steiner. Kann er den Zug noch stoppen? Eine kleine Ewigkeit vergeht, bis der Mann das Handy endlich ans Ohr hebt. Die Talstation ist mittlerweile zur Miniatur geworden, so weit hat sich der Zug bereits entfernt. Von oben kommt das Tunnelportal immer näher, und schon hat es den Zug verschluckt.
    »Verdammt«, schimpft der Mann in seinen Kragen, »keine Verbindung.«
    Es ist dunkel geworden rund um den Zug. Im Schein der Neonlampen in der Kabinendecke zeichnet sich die Tunnelwand ab, die scheinbar rasend schnell an den Menschen vorbeizieht. Steiner tut sich schwer, ruhig zu bleiben. Die Menschen rund um ihn nehmenjetzt schon den Brandgeruch wahr. Sie werden unruhig, schauen um sich: »Was ist das? Da brennt es doch irgendwo.«
    Steiner starrt ungläubig auf den Qualm in der Führerkabine, der sich dort mehr und mehr ausbreitet. Das könnte jetzt sehr ernst werden, denkt er. Die Menschen über ihm können die Quelle des Gestanks nicht sehen und diskutieren aufgeregt miteinander. »Ruhig bleiben«, ruft einer fast im Befehlston, »ruhig.«
    »Wir müssen den Zug stoppen«, schreit ein anderer.
    Dreißig Meter weiter oben sitzt Zugführer Siegfried Schwabl, hat Gleisanlage und Tunnelwand fest im Blick und bekommt nichts von dem mit, was sich hinter ihm abspielt.
    Der Rauch hat sich mittlerweile in der ganzen Führerkabine ausgebreitet. Er ist bedrohlich schwarz geworden. Steiner nimmt jetzt zum ersten Mal Flammen in der Führerkabine wahr. Er muss sich strecken, um nach unten sehen zu können, wo sie bläulich vom Armaturenpult heraufschlagen. Der Qualm ist so stark geworden, dass er durch Ritzen in das Skifahrerabteil drängt. Heimtückisch schleicht er von unten herein.
    Spätestens jetzt sind alle Menschen im hinteren Bereich des Zuges auf den Brand aufmerksam geworden und beginnen zu schreien. »Da ist ein Feuer!«
    Auch das Mädchen, das sein Vater auf eine der Querstangen gesetzt hat, sieht jetzt den Rauch in der Führerkabine und kreischt: »Es brennt!«
    Die meisten der 161 Passagiere sind immer noch ahnungslos, weil sie sich zu weit entfernt vom Brandherd aufhalten oder im räumlich getrennten Bergwagen stehen, wie etwa die Skigruppe aus Japan oder die fünf Wiener Snowboarder. Zwischen die »Es brennt!«-Rufe mischen sich auch beruhigende Stimmen. »Warte nur, da kommt gleich wer«, sagt einer.
    »Die haben sicher eine Löschanlage«, sagt ein anderer.
    Dann verlangsamt der Zug seine Fahrt, stetig, nicht abrupt. Nur zwei Minuten sind seit dem Ausfahren aus der Talstation vergangen.Noch einmal 25 Sekunden dauert es, dann steht die gesamte Seilbahnanlage still, diese fast vier Kilometer lange Riesenmaschine. Der Zug voller Menschen steckt im Tunnel fest, 531 Meter nach dem Tunnelportal.
    Oberhalb von Maximilian Steiner stehen vier seiner Kollegen aus dem Vilsecker Skiclub. Nach dem Stopp auf offener Strecke im Tunnel fragen sich alle, was los ist. Einer meint, dass der Zug in der Mitte des Tunnels immer stehen bleibe, dort, wo ein Quertunnel ins Freie führt. Aber hier ist weit und breit keine
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