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1539 - In der Eastside

Titel: 1539 - In der Eastside
Autoren: Unbekannt
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Kenntnis, kümmerte sich aber ansonsten nicht weiter darum. „Warum nicht?" fragte sie, ohne auf die von der Etikette vorgesehenen Höflichkeitsfloskeln zurückzugreifen. „Sie befindet sich in der Halle des Rates", erwiderte die junge Kartanin kühl. „Aha. Und was tut sie dort?"
    „Sie leitet eine Anhörung."
    Das klang schon nicht mehr kühl, sondern eisig.
    Dao-Lin-H’ay ließ sich dadurch nicht beeindrucken. „Also eine Familiensache", stellte sie fest. „Eine kleine Unterbrechung wird ihr unter diesen Umständen nur guttun. Gib sie mir endlich, oder ich erzähle ihr etwas über deine kleinen Privatgeschäfte, Tschu-Man-H’ar!"
    Diese Drohung wirkte Wunder: Tschu-Man-H’ar wirkte für einen Augenblick wie erstarrt. Dann verschwand sie hastig, und der Schirm wurde dunkel. „Was sind das für Machenschaften, in denen sie ihre Finger hat?" fragte Tekener. Die Geschäfte der Kartanin waren ein Thema, das ihn zur Zeit brennend interessierte. Vor allem dann, wenn die Hohen Frauen oder deren Mitarbeiter darin verwickelt waren. „Keine Ahnung", erwiderte Dao-Lin-H’ay, von Tschu-Man-H’ars heftiger Reaktion offenkundig erschüttert. „Es war nur ein Schuß ins Blaue, aber offensichtlich hat er gesessen."
    Sie schüttelte den Kopf und fügte hinzu: „Was ist bloß aus diesem Volk geworden! Manchmal frage ich mich wirklich, ob es heutzutage überhaupt noch einen Kartanin gibt, der ein reines Gewissen hat!"
    „Bist du sicher, daß es früher tatsächlich besser war?"
    „Ja."
    „Das lag daran, daß das Risiko größer war", vermutete Ronald Tekener. „Die Hohen Frauen hatten die Stimme von Ardustaar im Genick. Sie standen selbst unter Druck, und sie haben diesen Druck nach unten weitergegeben. Unter diesen Umständen fällt es leicht, anständig und sauber zu bleiben - mit der Moral hat das nichts zu tun. Unter der Hand wurde sicher genauso kräftig gemauschelt wie jetzt."
    Dao-Lin-H’ay warf ihm einen giftigen Seitenblick zu. „Zumindest hat man es damals diskreter gemacht", behauptete sie, und damit hatte sie wahrscheinlich recht. „Ich habe wenig Zeit!" verkündete Mei-Mei-H’ars Stimme.
    Die Höchste Frau hielt es nicht für nötig, sich auf dem Schirm zu zeigen. Ein fauchender Unterton schwang in jedem einzelnen Wort mit. „Was willst du?" fragte sie ungeduldig. „Es geht um das Raumschiff, das aus Sayaaron zurückgekehrt ist", erwiderte Dao-Lin-H’ay. „Ich will dabeisein, wenn der Kommandant seinen Bericht abliefert."
    „Wenn es weiter nichts ist ..."
    „Und ich werde Ronald Tekener mitbringen."
    Für einige Sekunden herrschte totale Funkstille. „Also gut", sagte Mei-Mei-H’ar schließlich. „Es wird noch ungefähr zwei Stunden dauern.
    Findet euch rechtzeitig ein. Wir werden keine Zeit haben, auf euch zu warten."
    „Wir werden pünktlich sein", versicherte Dao-Lin-H’ay. „Das müssen ja wirklich sehr komplizierte Familienangelegenheiten sein", murmelte Ronald Tekener, als die Verbindung zur Halle des Rates nicht mehr bestand. „Ob sie wirklich noch zwei Stunden brauchen werden?"
    „Ich tippe eher auf zwei Tage", erwiderte die Kartanin. „Wenn sich die großen Clans in die Wolle kriegen, dann geht es oft auf Biegen und Brechen. Aber Mei-Mei-H’ar hat offenbar die Absicht, die Anhörung zu unterbrechen. Das kann nur eines bedeuten: Es ist etwas im Busch."
    Sie sah zum Fenster hinaus.
    Der Sturm peitschte dicke Tropfen gegen die Scheiben. Tief unten war der diesseitige Rand der Schlucht zu erkennen. Die gegenüberliegende Seite verschwamm im Regen.
    Ronald Tekener beobachtete Dao-Lin aufmerksam.
    Sie wirkte sehr nachdenklich. Ihre Hände öffneten und schlossen sich, als schwanke sie zwischen dem Wunsch, sofort etwas zu unternehmen, und der Befürchtung, daß sie dabei das Falsche tun könnte. Einmal zeigte sie sogar die Spitzen ihrer Krallen.
    Er kannte diese Symptome. „Soll ich hinausgehen?" fragte er.
    Sie drehte sich um - eine blitzschnelle, fließende Bewegung.
    Für einen Augenblick kam ihm der Gedanke, daß er keine Chance gegen sie hatte, wenn sie jemals auf die Idee kommen sollte, ihm mit ihren messerscharfen Krallen ins Gesicht zu fahren.
    Aber das tat sie natürlich nicht. Sie zog die Krallen ein, ließ die Hände sinken und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig", sagte sie. „Du weißt schon so viel über mich, daß du auch das noch erfahren kannst. Aber mach mir Platz. Ich brauche ein bißchen Bewegungsfreiheit."
    Er stand auf und trat zur Seite. Sie
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