1500 - Der Albino
anderen Menschen leiden sah.
Das Gesicht des Albinos war verzerrt. Obwohl sein Mund nicht geschlossen war, schaffte er es nicht, frische Luft einzuatmen. Es glich nur einem verzweifelten Versuch. Er war ein Mensch, der nicht sterben wollte, der es allerdings musste, wenn er so weitermachte und ihm kein Einhalt geboten wurde.
Saladin schaute zu.
Er genoss die Veränderung des Mannes, der von einem Bein aufs andere hüpfte und auf der Stelle tanzte. Die Augen traten ihm aus den Höhlen, und durch das Würgen raubte er sich selbst die Kraft.
Als Folge davon brach er in die Knie. In dieser Haltung blieb er. Er pendelte von einer Seite zur anderen. Er beugte sich mal nach vorn, dann kippte er nach hinten, aber er fiel nicht um.
Saladin hatte ihn unter Kontrolle gehalten. Er wusste genau, wann die Grenze erreicht war. Er wollte nicht, dass sich Lucio wirklich umbrachte, denn er wurde noch gebraucht.
»Lass es!«
Der Befehl reichte aus. Die Hände des Albinos sanken nach unten, und plötzlich lag sein Hals wieder frei. Saladin wunderte sich darüber, dass Lucio nicht zu Boden fiel. Er war schon ein starker Mann und kämpfte sich in seiner knienden Position wieder zurück ins Leben.
Er rang nach Luft. Er schrie dabei und keuchte zugleich. Tränen rannen ihm aus den Augen, und sein bleicher Kopf sah irgendwie künstlich aus. Immer wieder schlug die dunkelrote Zunge wie ein Lappen aus dem weit offen stehenden Mund. Seine Arme zuckten.
Die Hände fuhren willkürlich vor und zurück.
Aber es ging ihm besser, auch wenn er durch das Würgen am Hals die entsprechenden Male zurückgelassen hatte.
Saladin trat auf ihn zu. In seinem Blick war wieder diese unglaubliche Kälte. Er sagte nichts. Er schaute sich nur an, wie der Albino ins Leben zurückkehrte.
»Okay?« fragte er. »Bist du okay?«
Lucio hatte die Frage gehört. Das Brausen und das zugleich auch dumpfe Gefühl in seinen Ohren waren verschwunden. Er war auch bereit, eine Antwort zu geben, nur brachte er kein Wort über die Lippen. Es war ihm nicht möglich. Sein Hals schmerzte höllisch, als wäre er von innen mit Stacheldraht verstopf worden. Seine Augen tränten, die Lippen zitterten, und es glich einem kleinen Wunder, dass er überhaupt eine Antwort geben konnte. Die bestand aus unartikulierten Lauten.
Saladin sah ein, dass er sich um Lucio kümmern musste. Aus eigener Kraft würde es der Albino nicht schaffen, wieder auf die Beine zu kommen.
Dafür sorgte der Hypnotiseur, der Lucio auf die Füße zog.
Er blieb stehen. Zwar schwankte er dabei, doch er war schon wieder kräftig genug, um nicht zu fallen.
Saladin konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Er musste den Triumph einfach loswerden, und so flüsterte er dem Albino die Frage in dessen bleiches Gesicht: »Nun, was hast du erlebt?«
Lucio schwieg. Allerdings nicht lange. Er versuchte eine Antwort zu geben, und er war tatsächlich in der Lage, einige Worte zu artikulieren.
»Was – hast – du – mit mir gemacht?«
»Nicht viel. Ich habe dir nur gezeigt, dass ich hier das Sagen habe über dich. Du bist derjenige, der keinen freien Willen mehr hat, wenn ich es so will. Ich habe ihn dir genommen. Ich kann ihn dir wiedergeben, aber das kommt einzig und allein auf dich an.«
Lucio knetete seine Kehle. Allmählich dämmerte es ihm, dass sich sein Leben auf den Kopf gestellt hatte. Es würde nicht mehr so weitergehen, wie er es sich vorgestellt hatte. Er würde nicht mehr in seine normale Welt zurückkehren können, sondern für immer in dieser düsteren gefangen sein.
Was war das für eine Umgebung?
Er hatte etwas davon gesehen und hätte sich auch eine Antwort geben können. Aber an die wollte er nicht denken. Die Wahrheit war einfach zu grausam.
Nie mehr zurück in das normale Leben. Stattdessen in einer Umgebung zu vegetieren, die absolut menschenfeindlich war, weil sie von Kreaturen bewohnt wurde, die es eigentlich nicht geben durfte.
Die er nur aus Filmen kannte, die er mal gesehen hatte.
Und jetzt?
Er starrte den Hypnotiseur an, der immer noch grinste. Er hatte dabei seine Lippen in die Breite gezogen und die Zähne gefletscht.
Ja, die Zähne!
Sie waren normal. Es waren keine spitzen Hauer zu sehen. Er präsentierte ein Gebiss, wie es jeder Mensch hatte, und Lucio wusste endgültig, dass Saladin nicht zu diesen Blutsaugern gehörte.
Dafür besaß er eine andere Eigenschaft, die kaum minder gefährlich war. Saladin hatte ihn in einen anderen Zustand versetzt. Es war dabei etwas
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