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1482 - Clarissas Sündenfall

1482 - Clarissas Sündenfall

Titel: 1482 - Clarissas Sündenfall
Autoren: Jason Dark
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Die Gestalten, die es eigentlich nicht auf dieser Welt geben dürfte und die ein Reich verlassen hatten, das jenseits der begreifbaren Normalität lag.
    Noch war es nicht so weit. Noch hatte sie Ruhe, aber sie wusste, dass diese nicht lange andauern würde. Nicht nach der Tat, mit der sie eigentlich nur Gutes hatte vollbringen wollen.
    Sie war allein in ihrem kleinen Zimmer. Clarissa fühlte sich dennoch beobachtet. Aus dem Unsichtbaren starrten zahlreiche Augenpaare zu ihr hin, um jede ihrer Bewegungen genau zu registrieren.
    In Clarissas Kehle lag eine Trockenheit, die sie mit einem Schluck Wasser bekämpfen wollte. Die Flasche stand auf der kleinen Kommode neben dem Bett. Sie ging darauf zu und fixierte sie. Es kam ihr vor, als würde sie sich bewegen, leicht zittern, wie von einer unsichtbaren Hand angestoßen.
    Die Nonne griff nach der Flasche. Auf ein Glas verzichtete sie. Das Wasser trank sie in langen Schlucken. Obwohl es lauwarm war, wurde sie davon erfrischt.
    Als sie die Flasche wieder an ihren Platz gestellt hatte, ging es ihr besser. Da sie schon auf dem Bett hockte, war es für sie kein Problem, die Hand unter das Kopfkissen zu schieben. Dort lag etwas, das offiziell nicht an der Wand oder der Tür hängen sollte. Die Oberin sah dies nicht so gern. Es war ein viereckiger Spiegel. Die Schalenleuchte unter der Decke gab genügend Licht, sodass sich die Nonne klar im Spiegel sah.
    Sie sah das Gesicht einer fünfunddreißigjährigen Frau, deren Haut keine Schminke zeigte, wohl aber eine Anzahl brauner Sommersprossen, die sich auf der Stirn stärker abmalten als auf den Wangen. Eine gerade Nase, ein schmaler Mund, ein weiches Kinn. Sie war mit ihrem Aussehen nie richtig zufrieden gewesen, doch in ihrem Alter hatte sie sich daran gewöhnt.
    Ihre Augen waren braun, ebenso wie ihre Haare.
    Wer bin ich?, fragte sie sich.
    Die Antwort wäre einfach gewesen, aber sie konnte ihr nicht zustimmen. Sie sah sich nicht als Mörderin an. Sie war eine Retterin, denn allein durch ihr Eingreifen war die junge Frau noch am Leben.
    So jedenfalls dachte sie. Dass der Bankräuber bereits dabei gewesen war, die Filiale zu verlassen, interessierte sie nicht. Er hatte in ihren Augen den Tod verdient und sie hoffte, durch diese Tat wieder einen Teil ihrer Schuld abgetragen zu haben.
    Den Spiegel brauchte sie nicht mehr und schob ihn unter das Kopfkissen. Dort sollte er zunächst mal liegen bleiben.
    Dann stand sie auf. Die anderen Mitschwestern hatten sich jetzt in dem großen Essraum versammelt. Zu hören war nichts. Das gemeinsame Essen bedeutete auch Schweigen, und das wurde sehr ernst genommen.
    Hunger verspürte sie keinen. Sie würde erst am anderen Morgen wieder zum Frühstück erscheinen. Dabei hoffte sie, dass alles normal ablaufen würde nach der noch zu überstehenden Nacht.
    Normalerweise legte sie ihre Nonnentracht ab, wenn sie ins Bett ging. Heute verzichtete sie darauf und entfernte nur die Haube von ihrem Kopf.
    Danach legte sie sich wie immer auf den Rücken. Das Licht hatte sie zuvor ausgeschaltet. Die Dunkelheit begleitete sie bei ihren schweren Gedanken, bis die Macht des Schlafs sie vielleicht übermannen würde.
    Das Fenster zeichnete sich als eine viereckige Erhellung im Mauerwerk ab.
    Wer als Fremder ihr Zimmer betrat, dem fiel zunächst nichts auf.
    Erst beim zweiten Hinschauen hätte er festgestellt, dass hier kein Kreuz an der Wand hing wie in allen anderen Zimmern.
    Clarissa hatte es nicht haben wollen. Sie schämte sich. Erst wenn alles vorbei war, würde sie es wieder aufhängen. So jedenfalls lautete ihr fester Vorsatz.
    Die Zeit verrann. Langsam oder schnell wie immer, aber Clarissa fühlte sich wie in einem Zeitloch steckend. Sie selbst konnte es nicht erklären, es war einfach so, und es hing mit ihrem besonderen Leben und Schicksal zusammen.
    Clarissa wartete auf das Andere, auf die Anderen und vor allen Dingen auf Vergebung. Sie war sich sicher, dass sie kommen würden. Sie würden zu ihr schleichen, sie würden um sie herumtanzen.
    Sie würden sie mit ihren zuckenden Bewegungen belästigen, und sie wusste nicht, woher sie kamen.
    Vielleicht aus ihrem Unterbewusstsein. Vielleicht auch aus dem Reich der Toten, wo nicht alle Seelen ihre endgültige Ruhe fanden, wie sie am eigenen Leib erfahren hatte.
    Und es würden wieder die Träume über sie kommen. Keine richtigen Träume – mehr Tagträume in der Dunkelheit. Diese Träume entsprachen der Realität, die ihr Gedächtnis gespeichert hatte.
    Die
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