1420 - Der Geisterhenker
anbringen.«
»Gut, wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie warten.«
»Es ist mein Job.« Er verzog säuerlich das Gesicht. Erfreut schien er nicht zu sein.
»Schon okay.« Ich machte mir meine Gedanken. Wahrscheinlich hatte Baker ihn beauftragt, bei mir zu bleiben, denn gern ließ er sich den Fall nicht aus den Händen nehmen, was verständlich war.
Ich konnte die Wohnung der toten Anwältin betreten und tauchte hinein in die Stille. Sie hatte einen sehr sachlichen Beruf gehabt. Ich war gespannt darauf, ob sich diese Sachlichkeit in der Einrichtung ihrer Wohnung widerspiegelte.
Ein Flur mit hellen Wänden. Diesmal wurde die strenge Sachlichkeit durch einige Lithografien aufgelockert. Bei den Gemälden herrschten grelle Farben vor, die nicht so mein Geschmack waren.
Mehrere Türen standen zur Auswahl. Keine davon war geschlossen. Ich schaute in ein Schlafzimmer, eine Küche, ein geräumiges Bad, in ein Gästezimmer und zuletzt in das Wohnzimmer, dessen breite Fensterfront einen Blick auf die hintere Seite des Grundstücks freigab, wo es Flächen mit Rasen gab und einige Inseln, die mit blühenden Sommerblumen bepflanzt waren.
Einen Menschen sah ich dort nicht. So blickte ich mich im Zimmer um, das mehr breit als tief war.
Helle Stoffe und Möbel. Auch hier hingen farbige Bilder an der Wand. Es gab einen großen Schrank aus der Biedermeierzeit. Die Oberkante des Möbels berührte fast die Decke.
Schrank war wohl nicht der richtige Ausdruck. Er wirkte auf mich eher wie ein Sekretär. Ein vorspringendes Unterteil, darauf der Aufsatz, aus dem eine Klappe hervorgezogen werden konnte, die die gesamte Breite des Schranks einnahm.
Die Klappe war hochgeschoben.
So etwas macht mich immer neugierig. Ich wollte wissen, was sich dahinter verbarg, und zog sie auf.
Ein Fach und zugleich viele kleine Schubladen an den Seiten. Doch unter den kleineren Laden befand sich eine breite Schublade, in der man durchaus etwas verstecken konnte.
Ein Fachmann hatte mir mal erzählt, dass die Schreiner früher bestimmte Möbel gern mit Geheimfächern bestückt hatten. Ich konnte unter Umständen davon ausgehen, dass es auch hier der Fall war.
Zwei Knöpfe aus Ebenholz konnte ich anfassen. Nach einem kurzen Ziehen merkte ich, dass sich die Lade öffnete.
Ich schaute hinein.
Sehr hoch war sie nicht. Man hätte einen Schnellhefter hineinlegen können, aber keine Aktenordner. Es lag nichts darin, was mich ein wenig enttäuschte. Ich gab trotzdem nicht auf und griff mit der rechten Hand in die Öffnung hinein.
Darunter gab es keinen Boden. Ich konnte meine Finger nach vorn schieben, ohne auf Widerstand zu treffen.
Doch ein Versteck?
Tiefer konnte ich nicht tasten, deshalb musste ich es von unten versuchen. Unter der ausgefahrenen Schreibfläche befanden sich zwei Türhälften.
Es gab nur ein Schloss. In ihm steckte ein schmaler Schlüssel. Den drehte ich, dann zog ich die eine Türhälfte auf. Sie setzte mir einen leichten Widerstand entgegen. Danach öffnete ich auch die andere Tür und schaute in das Dunkel des Schranks.
Es war nichts zu sehen. Ich konnte nur tasten, was ich aber nicht wollte. Ich holte deshalb meine kleine Leuchte hervor, um mich orientieren zu können.
Auf dem Boden lag etwas. Eine Akte, beziehungsweise ein Schnellhefter. Ich hatte sofort das Gefühl, etwas Wichtiges gefunden zu haben.
Mit spitzen Fingern zog ich den Fund hervor. Staub lag auf dem Deckel. Ich blies ihn weg.
Eine Beschriftung gab es nicht. Ich setzte mich in einen Sessel, dann schlug ich die Akte auf.
Schon beim Betrachten der ersten Seite blieb mir die Luft weg. Ob es das Urteil eines Mannes war oder nur eine Zusammenfassung seines Lebens, das wusste ich nicht, aber was dort geschrieben stand, das hätte ich nicht erwartet.
Mit leiser Stimme sprach ich den Text aus.
»Paul Ingram, Henker der Illuminati…«
***
Das war ein Schlag, der mich unterhalb der Gürtellinie traf, denn dass ich auf die Spur des Geheimbundes stoßen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Paul Ingram hieß der Henker. Die Tote hörte auf den Namen Beth Ingram. Es lag auf der Hand, dass es bei diesen beiden Personen ein verwandtschaftliches Verhältnis gab.
Ich dachte daran, wie groß und mächtig dieser Geheimbund vor einigen hundert Jahren mal gewesen war. Er verfolgte Ziele, die nicht allen gefallen konnten. Hauptfeind war die Kirche gewesen, zu Recht, doch diese hatte es geschafft, den Orden zu zerschlagen.
Nur nach außen hin. Tatsächlich aber
Weitere Kostenlose Bücher