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14 - Roman

14 - Roman

Titel: 14 - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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was ich meine. Lass uns in Ruhe, schloss Arcenel.
    Just in diesem Moment landete ein besser gezieltes 105er-Kaliber – nachdem die ersten drei Granaten allzu weit entfernt niedergegangen und folgenlos jenseits der Linien explodiert waren – einen Treffer in ihrem Schützengraben: Das Geschoss zerriss zuerst die Ordonnanz des Hauptmanns in sechs Stücke, dann enthaupteten ein paar seiner Splitter einen Verbindungsoffizier, spießten Bossis auf Höhe des Solarplexus auf einen Balken der Sappe, zerhackten mehrere Soldaten in verschiedenen Winkeln und schlitzten dann den Leib eines Jäger-Aufklärers der Länge nach auf. Kurz konnte Anthime, der unweit von ihm postiert war, sämtliche Organe des Jäger-Aufklärers vom Gehirn bis zum Becken deutlich wie auf einem anatomischen Schaubild sauber in der Mitte durchschnitten sehen, bevor er dann selbst, instinktiv in die Hocke gehend beim Versuch, sich zu schützen, das Gleichgewicht verlor, betäubt von dem unglaublichen Getöse, geblendet von den Kaskaden aus Steinen und Erde, den Wolken von Staub und Rauch, und sich dabei vor Angst und Ekel auf seine Waden und daneben erbrach, die Schuhe bis zu den Knöcheln im Schlamm steckend.
    Danach schien alles vorbei zu sein: Die Sicht im Graben wurde allmählich wieder besser, eine Art Ruhe kehrte ein, obgleich noch weitere gewaltige, feierliche Detonationen ringsum ertönten, aber in der Entfernung, wie als Echo. Wer verschont geblieben war, rappelte sich hoch, mehr oder weniger von militärischen Fleischfetzen gesprenkelt, von sandigen Brocken, die bereits von den sich darum streitenden Ratten geschnappt wurden, zwischen den hier und da verteilten menschlichen Trümmern – ein Kopf ohne Unterkiefer, eine Hand mit Ehering, ein einzelner Fuß in seinem Stiefel, ein Auge.
    So schien die Stille sich wieder einrichten zu wollen, da tauchte plötzlich ein verspäteter Granatsplitter auf, wer weiß woher, man fragt sich wie, lakonisch wie ein Postskriptum. Ein gusseiserner Splitter in Form einer polierten Steinzeitaxt, glutheiß, rauchend, handtellergroß, so messerscharf wie eine gläserne Scherbe. Als gelte es eine persönliche Angelegenheit zu regeln, zerteilte er ohne einen Blick auf die anderen die Luft in Richtung Anthime, der sich eben wieder erhob, und trennte ihm ohne weiteres Wenn und Aber dicht unter der Schulter den rechten Arm glatt vom Leib.
    Fünf Stunden später, im Feldlazarett, beglückwünschte alle Welt Anthime. Alle machten deutlich, wie sehr sie ihn um diese gute Wunde beneideten, eine der besten, die man sich zuziehen konnte – eine schwere Verwundung, gewiss, die einen zum Invaliden machte, aber nicht schlimmer als so viele andere auch, und von allen ersehnt, denn sie war von der Art, dass man nie wieder zurück an die Front musste. Seine Kameraden, die, auf den Ellbogen gestützt, auf ihren Pritschen lagen und ihre Käppis schwenkten – jedenfalls diejenigen, die nicht so übel zugerichtet waren, dass sie das gar nicht mehr konnten –, legten eine derartige Begeisterung an den Tag, dass Anthime es fast nicht wagte, zu klagen oder vor Schmerzen zu schreien, noch seinen Arm zu vermissen, dessen Verschwinden ihm andererseits bislang gar nicht so recht bewusst geworden war. Auch nicht so recht bewusst war ihm in Wahrheit dieser Schmerz, auch nicht der Zustand der Welt insgesamt, und ebenso wenig erkannte er, wenn er die anderen so ansah, ohne sie zu sehen, dass er sich selbst fortan nur noch zu einer Seite auf den Ellbogen würde stützen können. Als er aus dem Koma heraus war und dann, mit geöffneten, doch ins Leere gerichteten Augen, aus dem, was als Operationssaal herhalten musste, wollte ihm, ohne dass er wusste warum, angesichts dieser ganzen Fröhlichkeit lediglich so scheinen, als gebe es Anlass zur Freude. So viel Anlass, dass er sich bald seines eigenen Zustandes schämte, wiederum ohne dass er wusste warum: Wie als mechanische Reaktion auf die Ovationen des Lazaretts und um sich ihnen anzupassen, ließ er selbst ein Gelächter los, eine Art ausgedehnten Krampf, ein langgezogenes Wiehern, das seinerseits alle anderen verstummen ließ, bis eine gründliche Morphiumspritze ihn wieder allen Dingen entrückte.
    Und ein halbes Jahr später spazierte Anthime, den Ärmel mit einer Sicherheitsnadel an der rechten Seite der Jacke festgesteckt und auf der anderen Brustseite mit einer anderen Nadel die jüngst gestiftete »Croix de Guerre«, in Nantes am Ufer der Loire entlang. Es war wieder ein Sonntag, er
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