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1280 - Der Engel und sein Henker

1280 - Der Engel und sein Henker

Titel: 1280 - Der Engel und sein Henker
Autoren: Jason Dark
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sprang nach hinten. Dabei stieß ich gegen Lavinia Kent, die durch den Aufprall ebenfalls zurückgestoßen wurde.
    Es gab nichts mehr, was die Spiegelfläche noch zusammenhielt. Die großen Scherben lösten sich, als hätte man ihnen von der Rückseite her einen heftigen Stoß gegeben. Sie fielen uns entgegen, zerbrachen teilweise auf dem Rand des Waschbeckens, Stücke von ihnen flirrten auch hinein, aber der meiste Teil fand seinen Weg über das Waschbecken hinweg und landete auf dem Boden, wo kein Spiegelstück mehr heil blieb und unzählige Scherben durch den eigenen Schwung nach vorn getrieben wurden und auf uns zurutschten.
    Natürlich gab es in der Stille einen höllischen Lärm. Da klirrte und schepperte es, als würden wir zwei Polterabende auf einmal erleben. Wir mussten zur Seite ausweichen, um nicht von den Scherben erwischt zu werden, die manchmal wie Messer sein konnten.
    Aber es klappte. Wir konnten ihnen entwischen und warteten ab, bis auch die letzte kleine Scherbe zur Ruhe gekommen war und es wieder still wurde.
    »Himmel«, flüsterte Lavinia, »was ist das denn gewesen?«
    »Das war er.«
    »Der Henker, meinen Sie?«
    »Wer sonst?«
    Lavinia senkte den Kopf und schaute auf die Scherbenteile zu unseren Füßen. Sie blickte sie an wie Fremdkörper, dann glitt ihr Blick auf den leeren Rahmen, und sie fasste ihre Gefühle genau in die richtigen Worte.
    »Dann müssen wir ihn gelockt oder vertrieben haben, denke ich.«
    »Vertrieben wohl nicht.«
    Sie dachte nach und rieb dabei über ihre Stirn. »Moment mal, John, denken Sie jetzt daran, dass wir etwas getan haben, das nicht in unserem Sinne sein kann?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Doch, das wissen Sie schon. Glauben Sie daran, dass… dass… der Henker jetzt frei ist?«
    Die Antwort fiel mir nicht leicht. »Ja, ich denke, dass wir damit rechnen müssen.«
    »O Gott!« Sie hielt sich eine Hand vor den Mund. Jetzt dachte sie auch nicht mehr an ihren Schutzengel. Sie war einfach nur eine Frau, die Angst hatte.
    Wenn er tatsächlich frei war, was noch nicht hundertprozentig feststand, dann konnten wir uns auf großen Ärger gefasst machen. Besser gesagt, auf eine tödliche Gefahr, denn der Henker würde seine Freiheit nutzen, um das auszuführen, was er bisher angedeutet hatte. Ob sich dann noch der Schutzengel hintraute, war die große Frage.
    »Ich möchte es wieder hell haben, John.«
    »Okay. Dagegen habe ich nichts.«
    »Danke.«
    Lavinia drückte den Schalter. Sie tat es ein Mal, sie probierte es ein zweites Mal, aber es kam nichts.
    Die Lampen blieben finster. Das wenige Licht, das überhaupt in das Bad hineinsickerte, stammte von draußen und breitete sich in der Nähe des Fensters aus, wo es einen grauen Fleck auf dem Boden hinterließ.
    »Stromausfall.«
    Ich zuckte die Achseln. »Rechnen muss man mit allem, Lavinia. Ich denke nur, dass es kein Grund zur Panik ist.«
    »Das sagen Sie. Ich sehe das anders.«
    »Nein, wir werden die Nerven behalten. Denken Sie daran, dass wir zu zweit sind.«
    »Okay, Sie sind der Boss, John.«
    »So würde ich das nicht sehen.« Ich drehte mich zur Seite, denn es hatte keinen Sinn mehr, noch länger hier im Bad zu bleiben. Ich glaubte nicht daran, dass sich der Henker so schnell zeigen würde. Aber er war jetzt frei und konnte sich nicht mehr verstecken oder zurück in seine andere Dimension gleiten, falls es nicht noch weitere Tore gab, denn damit mussten wir auch rechnen.
    Ich öffnete die Tür und schaute in den dunklen Flur hinein. Zu sehen war dort nichts. Alles wurde von der Düsternis umfangen, denn das Licht war in der gesamten Wohnung ausgefallen.
    »Ich werde mal Kerzen besorgen«, schlug Lavinia vor.
    »Erst mal abwarten.« Meine Lampe hatte ich hervorgeholt. »Wo befindet sich hier der Sicherungskasten?«
    »Glauben Sie, dass eine Sicherung durchgeschlagen ist?«
    »In Betracht ziehen muss man alles.«
    »Wie Sie meinen. Der Sicherungskasten befindet sich hinter dem Bild gegenüber.«
    »Sehr gut.«
    Ich ging hin und ließ mich dabei vom Strahl der kleinen Leuchte begleiten. Er tanzte für einen Moment über die Wand hinweg, dann hatte ich das Bild gefunden und schob es behutsam zur Seite. Ja, da war der Kasten. Eine grau gestrichene Tür malte sich in der Wand ab. Um sie zu öffnen, musste ich das Bild abhängen, was ich auch tat. Danach stellte ich es auf den Boden.
    Die leichte Klappe ließ sich locker öffnen. Ich sah die Sicherungen und entdeckte auch die Hebel, die allesamt in ihrer normalen
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