Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1255 - Böser schöner Engel

1255 - Böser schöner Engel

Titel: 1255 - Böser schöner Engel
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
Tochter sie an ein fremdes Kind erinnerte. Was war nur aus diesem so fröhlichen Mädchen geworden. Eine Krankheit hatte brutal zugeschlagen und sie in die Nähe der Schwelle zum Jenseits geschoben.
    Sie ging mit leisen Schritten an das Bett heran. Auf keinen Fall wollte sie stören. Im Raum roch es frisch, denn die Ärztin hatte das kleine Fenster schräg gestellt. Die Mutter empfand es als zu kalt für ihre Tochter, und deshalb schloss sie das Fenster. Danach holte sie den Schemel heran, um sich neben das Bett zu setzen.
    Sie kannte diese Haltung. Sie wusste, was geschehen würde. Sie würde in das Gesicht der auf dem Rücken liegenden Tochter schauen, ihr ab und zu über die Stirn wischen und auch versuchen, mit ihr zu reden, obwohl es immer ein Monolog wurde, denn sie hatte nicht erlebt, dass Jamina auch antwortete. Dazu war sie einfach zu schwach oder nicht in der Lage, die Worte der Mutter zu hören.
    Auch jetzt fiel es ihr schwer. Sie suchte nach den richtigen Worten und hoffte, dass sie auch gehört wurde.
    »Bitte, Jamina, wenn du mich hören kannst, dann gib mir ein Zeichen. Bewege einfach die Augen ja?«
    Svetlana wartete vergebens. Ihre Tochter tat nichts. Sie lag einfach nur da, und es war überhaupt nicht zu merken, dass sie etwas gehört hatte. Der Vergleich mit einer Puppe kam Svetlana in den Sinn. Das blasse und runde Gesicht, die braunen lockigen Haare, der kleine Mund, die Wangen, die immer so rosig geschimmert hatten und jetzt so schrecklich bleich waren, all das konnte die Mutter noch immer nicht fassen, und sie glaubte auch jetzt an einen Albtraum, der irgendwann ein Ende haben musste. Nur nicht mit dem Ableben der Tochter.
    Jamina lag auf dem Rücken wie eine Person im Koma. Das hatte Svetlana mal im Fernsehen gesehen, wenn die Bilder diese Patienten zeigten. Sie waren zwar noch da, aber sie waren trotzdem der normalen Welt entrückt und lebten in einem Vakuum. So kam ihr Jamina auch vor. Ein Kind im Koma.
    Doch das stimmte nicht. Sie musste sich einfach von dem Gedanken befreien. Sie lag nicht im Koma.
    Sie war krank, und diese Krankheit hatte sie so grausam geschwächt.
    Bekam sie alles mit? Oder war jede Ansprache vergebens? Svetlana wusste es nicht. Sie tendierte gedanklich nicht in diese Richtung, denn sie rechnete damit, dass es einzig und allein die Krankheit gewesen war, die ihre Tochter so geschwächt hatte. Das Fieber und die verfluchte Lungenentzündung.
    Medikamente hatten nicht geholfen. Vielleicht waren sie auch zu schwach gewesen. Um an stärkere heranzukommen, fehlte einfach das Geld, und so hatte Svetlana passen müssen, was ihr in der Seele leid tat. Ihr Kind würde sterben, weil sie arm war. Ein im Krieg getöteter Vater, ein Staat, der kein Geld hatte, um sich um die Hinterbliebenen der Soldaten zu kümmern, das war schon ein verfluchtes Schicksal, das sie umschlungen hielt wie die Arme eines Kraken.
    Auch als sie zwei Minuten am Bett ihrer Tochter gesessen hatte, bewegte sich das Kind nicht. Svetlana seufzte. Sie verkrampfte sich wieder und hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Sie wollte nicht weinen, ihre Tochter sollte den Schmerz nicht hören, aber sie streckte den Arm aus und ebenfalls die Hand, um das Gesicht der Zehnjährigen zu berühren. Mit den Fingerkuppen strich sie darüber hinweg, spürte die sehr warme und fieberheiße Haut und nahm auch ihr letztes Zittern wahr, eine Folge der Berührung.
    Hatte sie doch etwas bemerkt? Svetlana hoffte es. Eine normale Antwort erhielt sie nicht. Jamina schwieg immer.
    Ihre Augen hatte sie nicht ganz geschlossen, und so ging die Mutter davon aus, dass sie möglicherweise sah, wer an ihrem Bett Platz genommen hatte.
    Svetlana zwang sich zu einem Lächeln. »Es gibt wieder Hoffnung, mein kleiner Schatz. Es gibt Hoffnung, das weiß ich. Und ich möchte es dir auch sagen. Du sollst es erfahren. Du darfst nicht sterben. Wir haben alles versucht, verstehst du? Wir haben auch die letzte Möglichkeit in Betracht gezogen. Halte durch. Nur eine kurze Zeit. Es wird nicht lange dauern, bis die Ärztin zurückkommt und den Engel mitbringt. Er wird dich heilen. Er hat die heilenden Hände. Davon bin ich überzeugt, und dann bist du wieder gesund.«
    So hoffnungsfroh hatte Svetlana in den letzten Tagen nie gesprochen. Es war zudem kein Grund vorhanden gewesen. In diesem Fall hoffte sie, von Jamina gehört worden zu sein.
    Sie lag regungslos auf dem Rücken und bewegte sich um keinen Millimeter. Der Mund war nicht ganz geschlossen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher