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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter
Autoren: Pete Smith
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Er wusste weder, wie lange er schon in diesem Loch vor sich hin vegetierte, noch ob es Tag oder Nacht war. Wie lange er nichts mehr gegessen oder getrunken hatte, konnte er nur ahnen. Lange genug jedenfalls, um keinen Hunger mehr zu empfinden. Da, wo früher sein Magen gewesen war, klaffte bloß noch ein kleines Loch.
    Der Durst hingegen quälte ihn in jeder Sekunde: seit jenem Moment, da sie ihn hier reingestoßen und festgekettet hatten wie einen Hund. Der Durst brannte in seiner Kehle, die trocken war wie Staub und ihm das Schlucken unmöglich machte. Mehr als einmal hatte er den nackten Fels abgeleckt, aber danach war es ihm nicht besser gegangen. Er konnte kaum noch an etwas anderes als an Wasser denken. In seiner Vorstellung tauchte er in einen Fluss, stand unter einem Wasserfall, badete in eiskalter Cola oder hing gar am Euter einer Kuh. Einmal hatte er sich sogar die Lippe aufgebissen, um an seinem eigenen Blut zu saugen, aber das hatte seinen Durst nur noch verstärkt. Übrig geblieben war der metallische Geschmack in seinem Mund.
    Atme, befahl er sich, atme, verdammt! Und so atmete er: Ein, aus. Ein, aus. Gegen die Angst, zu verdursten. Gegen die Angst, in dieser Finsternis verrückt zu werden.
    Und gegen die Angst, sie könnten zurückkommen und ihm beide Augen ausstechen, wie sie es bei dem Alten gemacht hatten: mit einem glühenden Spieß und einem kalten Grinsen im Gesicht.

4
     
     
     
    Nelson lag auf der Seite und starrte in das schwarze Nichts, das ihn umgab. Sein Zimmernachbar Gottfried war schon vor Stunden eingeschlafen und gab seit einigen Minuten schlürfende und schmatzende Geräusche von sich. Vielleicht lutschte er im Traum ein Cola-Eis.
    Nelson drehte sich auf die andere Seite. Professor Winkeleisens Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Oder besser die Worte jenes Schülers, der eines Nachts beschlossen hatte ohne Abschied von hier zu verschwinden.
    Sollte ich jemals zurückkehren, werde ich jünger als ein Säugling sein und älter als ein Greis.
    In den vergangenen Stunden hatte Nelson hin und her überlegt, was der Junge, den sein Lehrer Levent genannt hatte, damit gemeint haben konnte. Ob der Satz überhaupt eine Bedeutung hatte.
    Vielleicht war es ein Zitat. Aus einem Buch oder einer Daily Soap. Vielleicht auch ein Rätsel. Der Teil eines Ganzen… Womöglich hatten die seltsamen Worte überhaupt nichts mit seinem Verschwinden zu tun. Oder fühlte sich der »hoch sensible« Waisenjunge bloß allein und wollte sich mit seiner kryptischen Ankündigung nur interessant machen?
    War Levent am Ende ein Philosoph, der sich auf eine Erkenntnisreise begeben hatte? Oder ein Spinner? Möglicherweise auch ein Spaßvogel, der eines Tages auf die Idee verfallen war, die Welt an der Nase herumzuführen.
    Nelson hatte alle möglichen Gedanken in seinem Hirn gewälzt, hin und her, her und hin. Nur um am Ende immer wieder zu jener Erklärung zurückzukehren, die zwar die unwahrscheinlichste von allen war, gleichzeitig aber auch die nächstliegende: Levent hatte seinen, Nelsons, Traum verwirklicht und war in die Zeit gereist! In die Vergangenheit oder Zukunft. Da er nicht sicher war, ob er jemals zurückkehren würde, hatte er seinen eigenen Nachruf hinterlassen, den zu deuten jedoch selbst den Professoren nicht gelang.
    Nelson stellte sich vor, wie es Levent in diesem Moment ergehen mochte: Vielleicht floh er gerade vor einer Horde ausgehungerter Neandertaler. Oder er half als Arbeitssklave beim Bau der Cheopspyramiden. Oder er bot sich seinen eigenen Großeltern als Babysitter an, um mit jenem Jungen, der einst sein Vater werden würde, Cowboy und Indianer zu spielen.
    Das weite Spektrum der Möglichkeiten umfasste auch jene, wonach sich Levent in diesem Moment in einer Zeitschleife wand, aus der er sich durch eigene Anstrengung nicht befreien konnte, und deshalb verschwunden blieb.
    Entsetzlich jedoch war vor allem ein Gedanke – dass Levent gar nicht mehr lebte: Ein blutrünstiger Neandertaler hatte ihn mit seiner Keule erschlagen und zum Frühstück verspeist. Oder sein zerschmettertes Skelett ruhte unter einem der gewaltigen Steinquader von Gizeh, weil sich kurz vor Vollendung der Pyramiden ein furchtbares Unglück ereignet hatte. Oder…
    Nein! Schluss! Nelson schreckte hoch. Wischte alle düsteren Bilder beiseite. Er sog die Lungen voll Luft und atmete langsam aus. Levent lebte! Und er, Nelson, würde ihn aufspüren!
    Der Gedanke war plötzlich da. Weniger ein Entschluss als ein Auftrag. Nelson
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