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1212 - Niemand hört die Schreie

1212 - Niemand hört die Schreie

Titel: 1212 - Niemand hört die Schreie
Autoren: Jason Dark
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Sie es.«
    »Nein, nein, das kann ich nicht. Das hätte nicht jeder getan.«
    »Möglich.« Ich hob die Schultern und wollte darüber nicht mehr länger reden. Dafür drehte ich meinen Kopf nach links und schaute dorthin, wo der Sarg noch immer im Freien stand.
    »Ich denke, da haben wir ein Problem, Madam.«
    »Ja… sicher«, gab sie etwas abwesend zu. Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß auch nicht, was ich machen soll.«
    »Draußen stehen lassen können wir ihn nicht.«
    »Sollen wir ihn ins Haus holen?«
    »Zunächst mal.«
    Sie lächelte etwas scheu. »Und was werden Sie dann unternehmen, Mister?«
    »Das wird sich ergeben, denke ich. Wir sollten alles mal auf uns zukommen lassen.«
    Die Frau bedachte mich mit einem längeren Blick. Dann sagte sie: »Ja, das sollten wir wohl…«
    ***
    Die Frau hieß Betty Florman. Sie war 65 Jahre alt, wie sie mir erzählt hatte und lebte in diesem Haus allein, was ich ihr zunächst abnahm.
    Dem Aussehen nach wirkte sie älter als 65. Ihr Gesicht zeigte einen verhärmten Ausdruck. Der Mund war von einem Bett aus Falten umgeben, das grau gewordene Haar war unordentlich, und die graue, etwas zu grobe Strickjacke, die sie zu ihrem langen Kleid trug, sah ebenfalls nicht sehr vorteilhaft aus. Aber die braunen Augen blickten recht wach. Sie hatte sehr dichte Brauen, die an der Wurzel der schmalen Nase zusammenwuchsen.
    Den Sarg hatten wir ins Haus getragen, wobei ich den größten Teil dieser Tätigkeit übernommen hatte. Er stand jetzt im schmalen Flur, beleuchtet von einer Lampe, deren helles Innere von einem Pergamentschirm umgeben war. Wie eine Fackelzuglaterne hing sie von der Decke herab. Ihr Licht verlor sich auf dem Sarg, dessen Oberteil aussah wie mit Puder bestrichen.
    Wir saßen in einem kleinen Wohnzimmer. Die Tür zum Flur stand offen, sodass wir die Totenkiste unter Kontrolle hatten.
    Vor die Fenster hatte Betty Florman die Vorhänge gezogen.
    Auf der alten Couch wirkte sie etwas verloren. Einen Drink hatte ich abgelehnt. Ich saß so, dass ich sie und auch den Sarg sehen konnte.
    Betty hatte mir noch nichts gesagt. Sie kannte meinen Namen inzwischen ebenfalls, meinen Beruf allerdings hatte ich ihr nicht genannt. Dass jemand im Sarg lag, stand fest. Das hatte ich auch beim Tragen gemerkt, nur hatte ich die Frau noch nicht nach dem Inhalt gefragt. Ich wollte, dass sie allein davon anfing.
    Sie fand noch nicht die richtigen Worte. Die Frau saß nur vor mir und rieb ihr Handgelenk, das der andere Typ umklammert gehabt hatte.
    »Er hätte mir den Arm brechen können«, sagte sie und blickte auf den kleinen braunen Ofen in der Ecke. »Meine Güte, da hätte nicht viel gefehlt.«
    »Stimmt.«
    Die Frau befeuchtete ihre Lippen. Sie lehnte sich zurück und geriet etwas außerhalb des Lichtscheins, der sich wie Puder im kleinen Zimmer verteilte und auch die bedruckte Tapete nicht verschonte.
    Ich wollte meine Fragen nicht stellen, die mir auf der Seele brannten, sondern die Frau sprechen lassen. Es dauerte einige Zeit, um ein gewisses Vertrauen herstellen zu können.
    »Geht es Ihnen denn gut, Mr. Sinclair?«
    »Ich kann nicht klagen.«
    »Das freut mich.« Sie nickte vor sich hin. »Ja, das freut mich sehr. Ich denke, dass nicht jeder so gehandelt hätte wie Sie. Ich kann mich nur bei Ihnen bedanken und Ihnen weiterhin alles Gute für die Zukunft wünschen.«
    So nett die Worte auch gesprochen waren, mir gefielen sie trotzdem nicht. Sie hatten sich angehört, als wollte mich Betty Florman loswerden. Genau das passte mir überhaupt nicht in den Kram. Das hier war etwas, das mich interessierte, denn normalerweise verhielten sich die Mitarbeiter eines Beerdigungsinstituts nicht so wie die beiden. Da steckte schon mehr dahinter. Das war ein großes Rätsel, und mein Misstrauen war nicht geringer geworden. Es hatte zugenommen.
    »Sie möchten, dass ich gehe, Mrs. Florman?«
    Sie störte sich nicht an meiner Direktheit und nickte. »Ja, ich habe Sie schon zu lange aufgehalten.«
    »Nein, überhaupt nicht. Wenn ich jetzt gehe, würde ich sie mit Ihren Problemen allein lassen.«
    »Macht nichts, Mr. Sinclair, das bin ich gewohnt.«
    Ich winkte ab. »So sicher sollten Sie nicht sein. Denn die Beiden waren Ihnen über.«
    »Das stimmt.«
    »Und Sie haben eine Tote im Haus.«
    Betty Florman schaute in den Flur hinein, in dem der Sarg stand. »Für mich ist Louise Baker nicht tot.«
    »Nicht?« Ich wunderte mich. »Auch wenn sie ihren Platz in einem Sarg gefunden hat?«
    »Ja, so sieht es
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