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1195 - Der Engelskerker

1195 - Der Engelskerker

Titel: 1195 - Der Engelskerker
Autoren: Jason Dark
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wie man so schön sagt eine Hexengegend. Davon lebt auch der Tourismus. Davon mal ganz abgesehen, Harry, ich kann mir vorstellen, dass ich die Schreie gehört habe, weil ich besonders sensibilisiert bin. Oder was meinst du dazu?«
    »Weist du damit auf dein Dasein als Psychonautin hin?«
    »So ist es.«
    »Ich gebe dir Recht. Allerdings mit einer Einschränkung«, fügte er lächelnd hinzu.
    »Und welche wäre das?«
    »Auch ich habe die Schreie gehört. Und ich besitze kein drittes Auge, das normalerweise versteckt bleibt.«
    »Richtig.«
    »Mehr sagst du nicht dazu?«
    Dagmar hob ihr Weinglas an und trank einen kleinen Schluck. »Nein, mehr sage ich nicht. Es kann an meiner Nähe gelegen haben, aber es ist auch möglich, dass die Schreie gerade an diesem Abend besonders intensiv waren.«
    »Wie auch immer«, sagte Harry, »für mich steht fest, dass jemand gefangen ist und befreit werden will. Aus dem Gefängnis, aus dem Engelskerker.«
    »Was bedeuten würde, dass diese Person innerhalb der Mauern des Lokals ihr Gefängnis haben muss.«
    »So könnte man es sehen.«
    Dagmar Hansen sah ihren Partner bedeutungsvoll an. »Wo hält man sie gefangen?«
    »Im Mauerwerk.«
    »Sicher?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Du schaust mich so skeptisch an, Dagmar. Welche Lösung hast du denn parat?«
    »Überhaupt keine, wenn ich ehrlich sein soll. Aber ich gehe nicht hundertprozentig davon aus, dass die Person innerhalb dieses Lokals gefangen gehalten wird. Das kann eigentlich überall in der Nähe sein. Wir werden morgen nachforschen, wie es überhaupt zu dem Namen Engelskerker gekommen ist. Erst wenn wir das genau wissen, können wir richtig einhaken.«
    »Einverstanden.« Er grinste über den Tisch hinweg. »So haben wir in unserem Urlaub wenigstens etwas vor, und es wird uns nicht zu langweilig.«
    »Du sagst es, Harry.« Dagmar blickte auf die Uhr. »Bald Mitternacht. Ich denke, wir sollten uns allmählich in die Waagerechte begeben.«
    »Machen wir.«
    Beide leerten ihre Gläser, und Harry winkte dem Mann hinter der Theke zu, der mit zwei Gästen flüsterte und dabei hin und wieder verhalten lachte. Wahrscheinlich erzählten sie sich scharfe Witze.
    Harry beglich die Rechnung. Dagmar war schon aufgestanden und streckte sich. Unter dem dicken Pullover zeichnete sich ihre gute Figur ab. Die Hose saß nicht eben weit, und so konnten sich die unteren Rundungen auch sehen lassen. Hinzu kam das rote Naturhaar, das sich einfach nicht bändigen ließ. Dagmar lief stets mit einem Büschel Wolle auf dem Kopf herum.
    »Fertig?«, fragte sie.
    »Wir können.«
    Sie gingen nicht mehr an die frische Luft, sondern nahmen die schmale Treppe, die zur Rezeption hochführte, wo niemand mehr saß und nur eine Notbeleuchtung brannte. Zu dieser Jahreszeit wohnten nur wenige Gäste im Hotel.
    Über die breite Treppe stiegen sie in die erste Etage, wo ihr Zimmer lag. Das Haus war sehr alt und geräumig. Breite Flure empfingen die Gäste, und außen zierten acht Kaiserstandbilder die eindrucksvolle Front. Sie stellten diejenigen Herrscher dar, denen die Reichsstadt Goslar ihre Gründung und ihren Ausbau im Wesentlichen verdankte.
    In dieser Stadt begegnete der Besucher und auch der Bewohner der Historie auf Schritt und Tritt, und die Stadtführer oder Führerinnen hatten stets eine Menge zu erzählen.
    Harry schloss die Tür auf und ließ seiner Partnerin den Vortritt. Die Nacht war verdammt kalt und frostig. Eine klare Luft, ein klarer Himmel, doch davon war im Zimmer nichts zu merken. Hier gab die Heizung eine Wärme ab, die schon zu viel des Guten war.
    Harry drehte die Heizung zurück, und damit war auch Dagmar einverstanden.
    »Du kannst auch kurz mal das Fenster öffnen.«
    »Gern.«
    Beide schauten hinaus. Die kalte Luft biss gegen ihre Haut. Der Blick fiel direkt auf den historischen Marktplatz, der den Mittelpunkt der Stadt bildete.
    Tagsüber pulsierte hier das Leben, zu dieser Zeit lag über dem Marktplatz jedoch tiefe Stille. Nicht mal die Schritte eines Menschen waren zu hören. An den Rändern lagen Schneereste, deren Oberflächen hart gefroren waren und durch das wenige Licht einen bläulichen Schimmer hatten.
    Der Himmel lag über ihnen wie ein gewaltiges Wunder. Freie Sicht auf zahlreiche Sterne, die sich wie Diamanten auf blauem Samt überall verteilten.
    »Herrlich«, sagte Dagmar. »Einfach herrlich, Harry.« Sie drängte sich an ihn. »Einen derartigen Himmel zu sehen, ist für mich noch immer wie ein Wunder. Und ich werde
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