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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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Gabriele führenden Feldwegs, wo einige von ihnen schliefen, damit der Camerone weniger überfüllt war, von den dort wachsenden Pflanzen. Da niemand sie überwachte, ließen sie sich Zeit. Ihre Rücken waren gekrümmt, sie waren leicht verschwitzt. Alles um sie herum war vertikal, die Berge, die aufsteigenden Luftströmungen, welche die Raubvögel für sich nutzten. Vertikal war auch das Einstürzen, das dem Sasso in den kommenden Jahrtausenden drohte, aber auch der alten Kirchenruine, und auch den Leben im Krieg, den Menschen, die eines Tages fallen würden. Und inmitten dieser aufrechten Landschaft, in der alles darauf wartete, umgeworfen zu werden, waren sie gebückt. Sie waren die Horizontalen. Ihre gekrümmten Wirbelsäulen stachen aus dem Universum der Prärien und der Felder um San Gabriele hervor. Zehn Männer von weither rissen das Unkraut aus, kratzten in der Erde, um auch die Wurzeln mit zu entfernen, jede herausgerissene Pflanze verursachte ein ruckartiges Geräusch, ein Zusammenspiel aus dem Ausrupfen der mal frischen, mal vertrockneten Stängel und dem Rieseln des sandigen Bodens, der daran hing und dann zwischen ihren Fingern hindurch nach unten fiel. Wenn man seinen Blick den Weg hinuntergeschickt hätte, hätte man Körper gesehen, die sich von Zeit zu Zeit aufrichteten, um sich zu strecken, und sich dann erneut krümmten, um weiter zu entwurzeln. Der eine war schneller, dem anderen ging die Arbeit schon schwerer von der Hand. Sie mühten sich ab, um unter die Wurzeln zu kommen, ließen die ausgerissenen Pflanzen am Wegrand liegen und machten weiter, den ganzen Weg entlang, und bewegten sich ausrupfend vorwärts. Manchmal waren die Pflanzen auf einem Teilstück des Weges ziemlich hoch, hier hatte lange niemand das Unkraut entfernt, niemand hatte den sandigen Boden hochgehoben, niemand hatte gehört, wie er wieder auf die Erde traf, nachdem er zwischen den zarten Stängeln und den trockenen Stängeln hindurchgerieselt war, die man mit der ganzen Kraft seiner Männerarme ausrupfte, man nahm auch die Füße hinzu, um die Steine wegzuräumen, für besseren Halt, um in der Erde zu wühlen. Die Pflanzenstängel kamen aus der Erde und ragten in den Himmel, jetzt umzingelten sie die Männer, die Entwurzelnden, die Chinesen, die Entwurzelten, sie bekämpften sie, es galt, sie zu besiegen, ihre Macht zu brechen, auf einmal waren sie überall, auf einmal waren sie Finger, die hinter ihre Hälse wanderten, um sie rasch zu brechen, damit sie sich nicht wehren konnten. Auf einmal waren sie gewalttätig, sie entrissen sich dem Bild, das man von ihnen hatte, sie drückten ihnen die Kehle zu und würgten sie in ihrer enormen Größe und Kraft, einen hatten sie ja schon, er würde es nicht mehr lange machen.
    Aber dann, nein, natürlich nicht, die Stängel schrumpften wieder auf ihre lächerliche Größe zurück. Es war zu heiß, ein Chinese hatte einen Sonnenstich bekommen und war schlaff in sich zusammengesackt, ganz benommen von seinen Ängsten. Er hatte sich vorsichtig wieder aufgerichtet, war in der Hitze sitzen geblieben, hatte einige Sekunden lang das Blut in seinen Halsschlagadern pochen gespürt. Er hatte eine mögliche Implosion kommen sehen, er hatte sie wieder verschwinden sehen.
    Auch dieser Schwächeanfall war von jemandem bemerkt worden. Ein paar Häuser säumten den Weg. Auf der Schwelle des einen Hauses stand eine alterslose Frau, eine Frau im Profil, und hatte zugesehen, wie sie vorankamen. Sie zerstreuten ihre Langeweile, das verwaschene Lila ihrer Melancholie, sie beobachtete sie. Sie war es gewesen, die sie gebückt in der Landschaft gesehen hatte, der Sonne ausgeliefert. Sie hatte zugelassen, dass sie ihren Blick ausfüllten und in ihr leeres Herz eindrangen und darin nachklangen, sie hatte die Mechanik ihrer sicheren Gesten in sich hineingelassen und sie zu Menschen gemacht. Sie hatte alles registriert, was es zu sehen gab, ihre derbe Kleidung, ihre Sandalen, ihre Gesten, die gemeinsamen ebenso wie die individuellen, die hochgewachsene Eleganz des einen, die Nervosität des anderen. Aus der Entfernung hatte sie das Bild eines jeden von ihnen auf sich wirken lassen. In diesem einsamen Moment hatte sie, außerhalb vom Leben dieser Männer, aber auch weit entfernt von ihrem eigenen, das Gefühl gehabt, sich ihnen anzunähern, während sie unter der Oberfläche dessen, was sie von sich preisgaben, nach deren Wirklichkeit suchte. Und sie hatte gesehen, wie derjenige von ihnen, der im vorigen
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