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112 - Der tägliche Wahnsinn

112 - Der tägliche Wahnsinn

Titel: 112 - Der tägliche Wahnsinn
Autoren: Ingo Behring
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Balkonbrüstung, wenn wir vorfahren.»
    Wir hörten noch, wie der Abteilungsleiter, der der Feuerwehr der halben Stadt vorsteht und ebenfalls auf der Anfahrt zur gemeldeten Adresse war, den Leitstellendisponenten über Funk anwies: «Dann erhöhen Sie vom Stichwort ‹Keller› auf ‹B 3 ›.»
    «B 3 », also «Brand der Stufe 3 », bedeutete, dass jetzt noch zwei weitere Löschzüge, die jeweils aus drei Fahrzeugen bestehen, alarmiert wurden. Ein großes Feuerwehraufgebot war also zu erwarten.
    Als wir nach ein paar Minuten Anfahrt als erste Einheit die Kastanienallee erreichten, quoll dichter Rauch aus der Haustür. Sofort war uns klar: Die Tür zum Keller musste offen stehen, sonst wäre der Hausflur rauchfrei geblieben. Jetzt war das Treppenhaus von unten bis oben in Wolken gehüllt, und wer seine Wohnung nicht verlassen hatte – mehrere Anwohner standen auf der Straße herum –, war in ihr gefangen. Wir konnten nur hoffen, dass diese Mieter die Türen geschlossen hielten. Was uns immer wieder verwundert: Machen sie die Haustür auf und die Schwiegermutter oder die Zeugen Jehovas stehen davor, ist sie in Sekundenbruchteilen wieder zu. Schlägt ihnen aber Rauch aus dem Treppenhaus entgegen, fehlt dieser Reflex. Die Bewohner laufen auch kopflos ans Fenster, um es zu öffnen. Der entstehende Durchzug sorgt dann dafür, dass die ganze Wohnung in wenigen Augenblicken verqualmt ist.
    Während unser Chef durch Befragen der Umstehenden zu klären versuchte, wo genau es brannte und wer noch im Haus vermisst wurde, bereiteten wir unseren Löschangriff vor: Dieter machte die Pumpe klar, Steffen und ich legten die Schlauchleitung bis an den Hauseingang.
    Nachdem ich die Schlauchreserve gelegt hatte, die wir bei unserem weiteren Vorgehen mit in den Keller ziehen würden, forderte ich vom Maschinisten per Handzeichen Wasser an. Als er die Leitung öffnete, schlug die Schlauchleitung wie eine Schlange hin und her, bis sie prall gefüllt hinter uns lag. Steffen prüfte kurz, ob der Schlauch vor dem Eingang ohne Knoten war, es durften keine Probleme beim Nachziehen auftreten. Als er sich wieder zur Treppe wandte, war ich bereits zwei Schritte an der Wand entlanggegangen, um die Kellertreppe zu suchen.
    «Ingo? Ingo!», hörte ich ihn hinter mir rufen. Ich drehte mich in die Richtung um, aus der ich die Stimme hörte, entdeckte aber nichts von meinem Kollegen. Nur diffus etwas Licht im dichten Rauch.
    «Hier vorne, am Strahlrohr», gab ich ihm den Tipp, wo er mich finden konnte. Einen Augenblick später konnte ich seinen verschwommenen Umriss ausmachen. Die Sichtweite von höchstens dreißig Zentimetern ließ nur ein Vortasten mit Hilfe der von mir mitgenommenen Wärmebildkamera zu. Sie leistete gute Dienste. Da der fahle Lichtschein der Haustürbeleuchtung nicht einmal bis zur ersten Treppenstufe hinabreichte, hätten wir ohne die Kamera keine Orientierung in der grauen Suppe gehabt.
    Die Brandhitze, die aus dem Keller aufstieg, drang durch jede Ritze der Schutzkleidung. Immer mit einem ausgestreckten Bein nach vorne tastend, krochen wir im Entengang nach unten. Nach ein, zwei Metern peilte ich durch die Wärmebildkamera, um zu sehen, wo wir uns befanden. Danach konnten wir den Schlauch wieder etwas nachziehen. Unsere Befürchtung stimmte, als wir die Treppe geschafft hatten: Der Keller war zwar mit einer Brandschutztür ausgestattet, da diese aber mit einem Türkeil offen gestellt war, konnten Rauch und Hitze ungehindert in das Treppenhaus steigen und somit den Bewohnern den Fluchtweg versperren.
    Die Kamera hielt ich jetzt ständig ein paar Zentimeter vor meine Atemschutzmaske. So arbeiteten wir uns langsam, aber auf direktem Weg an zwei Räumen vorbei und durch einen Fahrradkeller hindurch, dem hellen Teil im Kamerabild und damit dem Brandherd entgegen. Deutlich war auf dem Monitor zu erkennen, wie die heißen Brandgase aus einem Raum am Ende des Kellergangs drangen. Von Steffen, der dicht hinter mir war, nahm ich nur ab und zu den Strahl der Lampe wahr, der durch den Rauch hüpfte. Er selbst konnte aufgrund des Rauchs nicht über meine Schulter hinweg bis zum Kameradisplay sehen, darum musste er sich allein am von mir gezogenen Schlauch orientieren und den Geräuschen meines Atemschutzgeräts folgen. Wäre ich aus Spaß im Kreis gekrochen, hätte er es nicht gemerkt. Aber wir waren nicht zum Spielen hier …
    Auf einmal ließ sich die Schlauchleitung nicht mehr nachziehen. Etwa fünf Meter vor dem Raum, in dem das Feuer
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