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1091 - Das Geschöpf

1091 - Das Geschöpf

Titel: 1091 - Das Geschöpf
Autoren: Jason Dark
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und spielte uns ein Ständchen, dessen Weise sich klagend anhörte.
    Wir hatten uns gedreht und schauten zu dem Alten hin. Er saß jetzt aufrechter. Die Mauer stützte seinen Rücken. Er spielte, schaukelte dabei leicht und hatte den Kopf gedreht. Das Lied war ein Shanty. Allerdings nicht fröhlich, sondern eher traurig und verloren klingend. Als wollte er durch das Lied seine eigene Wehmut zu uns rüberbringen.
    »Das wäre ein Zeuge, John.«
    »Ich wollte gerade gehen.«
    Es war nicht weit. Vielleicht zwanzig Meter. Weit hinten ragte eine Lampe wie ein geknickter Arm von der Mauer weg nach vorn. Die Laterne sah aus wie ein blasses kaltes Auge.
    Wir gingen auf den einsamen Musiker zu, der uns jetzt entgegenschaute und nicht aufhörte zu spielen. Er wiegte dabei den Kopf, obwohl die Melodie alles andere als fröhlich war. Gehört hatte ich sie schon einmal, der Text war mir unbekannt.
    Vor dem Mann blieben wir stehen. Er hörte noch nicht auf. Er schaute nur zu uns hoch. Von seinem Gesicht sahen wir nicht viel. Das lag an seinem grauen Bart, der praktisch überall wuchs, und auch an seiner breiten Schiffermütze, deren Schirm er in die Stirn gezogen hatte. Er zog das Schifferklavier noch einmal auseinander, so lang, daß fast keine Falten mehr zu sehen waren, und die Musik hörte mit einem letzten klagenden Laut auf, der sehr schnell verwehte.
    Langsam legte er den Kopf zurück, damit er uns besser sehen konnte. Das Instrument ließ er sinken.
    Wir sahen, daß er nicht direkt auf dem Boden saß, sondern auf einem Lederkissen.
    Ich nickte ihm zu. »Guten Abend, Mister. Schöne Musik.«
    Er lachte. Dann holte er ein Tuch hervor und wischte über seinen breiten Mund. »Finden Sie?«
    »Ja. Zwar ein wenig traurig, aber…«
    »Soll ich in dieser Welt noch jubeln und einen Chor der Engel imitieren?«
    »Das kommt auf den Menschen selbst an.«
    »Aber die Menschen sind schlecht.«
    »Nicht immer«, widersprach ich. »Ich habe wenig gute kennengelernt.«
    »Sie spielen immer hier?« fragte Suko.
    »Ich spiele, aber nicht immer hier an dieser Stelle.«
    »Sie verdienen so Ihren Lebensunterhalt, nehme ich an.«
    »Was man so Lebensunterhalt nennt.«
    »Hier kommt wohl niemand vorbei, der Ihnen etwas gibt. Warum hocken sie hier in der Kälte?«
    »Weil ich allein sein möchte. Manchmal muß der Mensch allein sein. Ich spiele dann, was ich will. Ansonsten, wenn ich durch die Kneipen tingele, muß ich immer fröhliche Lieder spielen. Danach ist mir kaum zumute, wenn ich ehrlich bin.«
    Ich fragte ihn, wie lange er hier schon in der Kälte saß und Musik machte.
    Mit einer Hand winkte er ab. »Das weiß ich nicht genau. Ich war dabei, Feierabend zu machen.«
    »Und Sie haben nichts gesehen?«
    Der Alte lachte. »Was soll ich denn gesehen haben? Ich bin ein Mann der Musik. Fragen Sie die Gäste in den Pubs und Kneipen. Da ist Old Jugg bekannt.«
    »Toller Name.«
    »So heiße ich eben.« Er bewegte sich zur Seite, um sich abstützen zu können. Dann stand er auf und schulterte mit einer geschickten Bewegung das Instrument. Er hob sein ledernes Sitzpolster auf, schaute zu unserem Wagen hin und wollte sich entfernen.
    »Einen Moment noch, Old Jugg«, sagte ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Was ist denn?«
    Ich schaute in das vom Leben gezeichnete Gesicht mit der ledrigen Haut und suchte seinen Blick.
    Seine Augen waren grau, blaß, aber nicht tot. Er war schon ein Mensch, der sah, und er konnte auch ein guter Zeuge für uns sein.
    »Habe Sie gesehen, wer da gegen unseren Wagen geschlagen hat?«
    »Ähm… wie?«
    »Ja, gegen unseren Wagen. An die rechte Seite, auf das Dach und gegen den Kofferraum.«
    »Ich war es nicht!«
    »Okay, das dachten wir uns. Es passierte auch, nachdem wir an Ihnen vorbeigefahren waren. Aber wir haben uns diese Schläge nicht eingebildet. Die hämmerten und kratzten gegen die Karosserie. Als wir ausstiegen und nachschauten, war nicht zu sehen. Jetzt stehen wir vor einem Rätsel, bei dessen Auflösung Sie uns vielleicht helfen können.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht.«
    »Sie haben also nichts gesehen?« fragte Suko.
    »Wirklich nicht.«
    »Kein Tier?«
    »Wieso Tier?«
    »Ein Hund oder eine Katze, die unseren Wagen angesprungen hat?«
    Der einsame Musiker lachte. »Auch wenn ihr mich noch weiter fragt, ich kann euch nicht helfen.«
    Er drehte sich auf der Stelle. »Aber in dieser Gegend passiert viel. Sie ist nicht so einsam wie sie auf den ersten Blick hin wirkt. Das
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