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099 - Die Lady mit den toten Augen

099 - Die Lady mit den toten Augen

Titel: 099 - Die Lady mit den toten Augen
Autoren: Larry Brent
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trug, raschelte.
    Gaynor Billerbroke griff nach dem Vorhang, und ihre schlanken
Finger spielten in dem weichen, schweren
    Stoff. Sie
stand da, als ob sie lausche, hielt den Kopf gesenkt, und das lange Haar
bedeckte fast ihr ganzes Gesicht.
    Der Vorhang
öffnete sich ein wenig, und helles Tageslicht traf ihr Gesicht, das sie der
warmen, verlockenden Sonne entgegenstreckte.
    Lord Desmond Billerbroke streichelte seiner jungen
schönen Frau, die weniger als halb so alt war wie er, von hinten über
das Haupt. Die Lady lehnte sich ein wenig zurück und drückte sich seinen
liebkosenden Händen entgegen.
    „Paß auf, paß
gut auf. Achte genau auf das, was du sagst, Desmond! Ich habe ein komisches
Gefühl. Erst die beiden Polizisten vorhin - gleich darauf ein neuer Besucher.
Sie dürfen keinen Verdacht schöpfen.“
    „Nein, meine
Liebe.“
    „Gerade zum
jetzigen Zeitpunkt nicht - verstehst du?“ Ihre Stimme klang ganz leise. „Ich
bin an einem Scheideweg angelangt. Ich glaube, es ist eine Botschaft unterwegs.
Ich muß mehr sehen - viel, viel mehr. Die Augen reichen nicht, Desmond. Es
müssen - mehr sein.“
    Während sie
das sagte, ließ sie den Vorhang los. Die Dunkelheit des Schlafgemachs fiel
wieder auf ihr Gesicht. Dann drehte sie sich langsam um.
    Ihr Gesicht
reckte sich dem Lord entgegen. In der Dämmerung war zu erkennen, daß Lady
Gaynor Billerbroke - keine Augen mehr im Kopf hatte!
     
    ●
     
    Iwan
Kunaritschew wurde mit aller Freundlichkeit empfangen und bewirtet. Er trank
einen Sherry, knabbert? Biskuits und führte ein angeregtes Gespräch mit dem
Lord. Iwan lernte bei dieser Gelegenheit auch Burke, den Butler des Lords,
kennen. Wie ein Schatten bewegte er sich durch das Haus. Man hörte ihn gar
nicht kommen. Plötzlich hantierte er aber wieder in unmittelbarer Nähe und
fragte mit dezent gedämpfter Stimme, ob die Herrschaften noch etwas trinken
wollten. Er hielt sich ständig im selben Raum auf, in dem auch der Lord, Dr.
Hill und Iwan Kunaritschew miteinander sprachen.
    Kunaritschew
beobachtete den Butler intensiver, als dem Mann wahrscheinlich bewußt war.
    Burke gefiel
ihm nicht.
    Er war
untersetzt, sehr bleich und trug das Haar kurzgeschnitten und streng
gescheitelt. Die Art, wie er sich bewegte, wie er manchmal von seiner Tätigkeit
aufsah und einen Blick zu der Gruppe herüberwarf, hatte etwas Merkwürdiges an
sich.
    Iwan
vermutete, daß Burke vielleicht ein Patient war, der in die Dienste des Lords
getreten war. Als ihm dieser Gedanke kam, urteilte er weniger hart. Burke
konnte vielleicht nichts für sein Verhalten.
    Iwan wurde im
Schloß herumgeführt.
    Er lernte
nicht alles, aber sehr viel kennen.
    Man kam ihm
entgegen und war zuvorkommend.
    Von diesem
Trakt aus bestand ein Verbindungsgang zu den anderen Räumlichkeiten des Castle.
    Hier schloß
sich die eigentliche Welt der Menschen an, deren Geisteszustand so verwirrt
war, daß sie oft nicht wußten, wer sie waren und woher sie kamen.
    Kunaritschew
sah schlimme Bilder.
    Viele Kranke
waren eingesperrt wie die Tiere. Man konnte sie nicht freilassen.
    Man zeigte
ihm viel, aber nicht alles.
    Er sollte
einen ersten Eindruck gewinnen, mehr nicht.
    Der Lord
meinte schließlich: „Wir könnten Ihnen noch schockierendere Bilder zeigen, aber ich weiß nicht, ob es richtig ist, daß Sie sie sehen. Ich
zweifle auch daran, ob Sie die verwerten können. Ich bin überzeugt davon, daß
Sie die auf dem Bildschirm gar nicht zeigen können.“
    Der Lord
hatte vielleicht recht. Iwan kam es auch gar nicht darauf an, einzelne Krankengeschichten
kennenzulernen. Dies Interesse war nur vorgeschoben, um überhaupt eine
Möglichkeit zu haben, das Schloß von innen und vor allem seine Bewohner zu
beobachten.
    Doch er
konnte nicht zu sehr von der Richtung abgehen, die er mal eingeschlagen hatte,
und so gab er zu verstehen, daß er sehr daran interessiert sei, jene zu sehen,
die hier lebten.
    Er bekam
schlimmere Fälle vorgeführt.
    Da gab es
Männer und Frauen, die wie die Tiere in einem Käfig auf und ab liefen, die sich
in einem permanenten Reizzustand befanden und schreckliche Laute ausstießen wie
urwelthafte Geschöpfe, die sich noch nicht der Sprache bedienen konnten.
    Die Gesichter
der Menschen waren zerstört, wie ihre Seelen zerstört waren.
    Diese
bedauernswerten Wesen vegetierten dahin, schlugen gegen dick gepolsterte Wände
oder kletterten auf Tische, Stühle und Betten und vollführten merkwürdige
Tänze.
    Iwan selbst
durfte die abgesperrten Zellen nur
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