0981 - Tränenjäger
in Richtung Dschungel blickte.
Etwas geht da draußen vor, dachte er bei sich.
Während er in der vergangenen Nacht noch darüber sinniert hatte, dass der Urwald totenstill war, konnte er nun deutliche Anzeichen von Aktivität spüren.
Immer noch war es ruhig da draußen, aber irgendetwas hatte sich verändert, das war deutlich zu bemerken.
Ich muss hier raus, dachte Domingo plötzlich. Er wandte sich vom Fenster ab und stürmte aus seinem Büro hinaus auf den Gang.
Während er sich mit schnellen Schritten ins Freie begab, musste er abermals an den erkrankten Fremden denken. Der Mann hatte über keinerlei Papiere verfügt und war überdies nicht transportfähig.
Domingo trat hinaus und nahm auf den Eingangsstufen des Gebäudes Platz. Er blickte auf den nahen Urwald.
Was immer dem Patienten dort draußen zugestoßen war, es hatte ihn fast das Leben gekostet!
Der dunkelhaarige Priester schnaubte leise.
Das anwesende Militär schob seit Wochen nur Wache. Die Soldaten waren offenbar mit ihrem Latein am Ende. Solange die Bedrohung unsichtbar blieb, gab es nichts Greifbares, gegen das man vorgehen konnte. Aber diese Männer waren wenigstens geschult und wussten mit Stresssituationen einigermaßen umzugehen. Bei der einfachen Landbevölkerung sah die Sache schon ganz anders aus.
Jeden Tag spendete Pater Domingo Trost und Segen. Aber dennoch wollte es ihm nicht gelingen, die Ängste der Menschen zu zerstreuen.
Wie auch? Immerhin fürchtete er selbst sich ebenfalls vor der unsichtbaren Bedrohung!
Vielleicht hätten wir doch auf den Amerikaner hören sollen, dachte Domingo nicht zum ersten Mal und spielte abermals mit dem Gedanken, die Mission doch noch evakuieren zu lassen. Wenn die Gegend erst wieder sicher war, konnten sie schließlich immer noch zurückkehren.
Der Priester lachte leise. Bitternis schwang darin mit.
Sicherheit war so ein trügerisches Wort in diesem Land. Wenn er allein schon an das brutale Regime des Zuckerbarons Alvaréz dachte, dessen Anwesen einige Kilometer entfernt lag… Der skrupellose Plantagenbesitzer war dafür bekannt, seine Arbeiter wie Leibeigene zu behandeln.
Domingo war sich sicher, dass Don Antonio über Leichen ging. Beweisen konnte er ihm indessen nichts. Die Bauern hatten zu viel Angst vor ihrem Herrn und hüteten sich, ein schlechtes Wort über ihn verlauten zu lassen.
Der Priester hörte leise Schritte hinter sich und wandte den Kopf. Eine weiß gekleidete Krankenschwester hatte sich genähert. Ihr Gesicht war ernst.
»Doktor Delgado möchte Sie sprechen, Pater«, erklärte sie. »Der Zustand des Patienten hat sich dramatisch verschlechtert! Es sieht schlimm aus.«
Sofort war Domingo auf den Beinen und eilte in Richtung Hospital. Als er sein Ziel erreichte, verließ Delgado gerade das Krankenzimmer und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Sein fleischiges Gesicht wirkte grau und eingefallen.
»Was ist los, José?«, fragte der Priester atemlos. »Wie geht es ihm?«
Delgado schüttelte stumm den Kopf.
»Er ist von uns gegangen«, erklärte er einen Moment später überflüssigerweise. Der wackere Doktor bekreuzigte sich. »Was immer das für eine Krankheit war, sie hat auf seinen gesamten Körper übergegriffen und ihn verzehrt. Er hatte keine Chance.«
Domingo nickte langsam. »Es ist gut, José«, antwortete er langsam. »Jetzt werde ich mich um ihn kümmern!«
Schon wollte er sich an seinem alten Freund vorbei ins Krankenzimmer schieben, doch Delgado streckte den Arm aus und versperrte ihm den Weg.
»Glaub mir«, warnte er ihn mit gepresster Stimme. »Das willst du dir nicht antun, Francisco!«
Domingo lächelte sanft. »Er muss die Sakramente erhalten«, erinnerte er den Doktor sanft. »Und glaube mir, ich habe schon sehr viel Arges gesehen in meiner Laufbahn!«
»So etwas nicht«, erwiderte Delgado, doch da hatte der Priester die Tür des Krankenzimmers bereits geöffnet. Unbeschreiblicher Gestank schlug ihm entgegen und unwillkürlich prallte er zurück.
»Ich habe dich gewarnt«, hörte er noch hinter sich, doch Domingo winkte ab. Er nahm seinen alten Freund gar nicht mehr wirklich wahr.
Das, was vor ihm auf dem Bett lag, nahm seine gesamte Aufmerksamkeit gefangen. Jetzt verstand er den Arzt und wünschte sich für einen kurzen Augenblick, er hätte das Zimmer tatsächlich nicht betreten.
Der etwa zwei Meter große, dunkelhaarige Patient hatte jegliche Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen verloren. Der Ausschlag hatte sich rasant über den
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