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0952 - Nacht über New Amsterdam

0952 - Nacht über New Amsterdam

Titel: 0952 - Nacht über New Amsterdam
Autoren: Simon Borner
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stärkste Zugpferd, das dieser Radiosender besaß.« Vermutlich saß dessen Chefabteilung bereits jetzt, etwa zwei Stunden nach der Tat, in einer Krisensitzung zusammen und sah die Werbekunden schwinden.
    Andy Sipowicz schwand derweil etwas ganz anderes: der Wille, jemals wieder etwas zu essen. Der Flur vor dem Studio im dreiundzwanzigsten Stock des WNYC-Turmes sah aus, als hätte sich ein Metzger auf LSD-Trip in ihm selbstverwirklicht. Nahezu überall, wohin das Auge blickte, waren Blut, Gedärm oder andere Überreste des Verblichenen. Stühle waren umgestoßen, Tapete buchstäblich mit Fingernägeln - Klauen , dachte Andy instinktiv - von den Wänden geschabt worden. Den Teppich konnte man getrost auswringen, so blutgetränkt schien er zu sein. Champlain musste sich mit aller Macht gegen seinen Mörder zur Wehr gesetzt haben.
    Vergebens.
    »Sie sagen also, dass es da draußen achteinhalb Millionen Menschen gibt, die einen Grund haben könnten, Mr. Champlain den Tod zu wünschen?«, hakte Zandt nach. »Und unser Ballantine dort drüben war schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort?« Er wirkte alles andere als begeistert von dieser Vorstellung.
    »Mehr noch, fürchte ich«, antwortete Diane ungerührt. »Champlain war, wie gesagt, einer der ganz Großen seiner Branche und schon seit Jahrzehnten auf Sendung. Wenn er loslegte, hörte längst nicht nur das innere Stadtgebiet New Yorks zu. The Champlain Files wurde meines Wissens von diversen Kleinstationen live übernommen und in Lizenz ausgestrahlt. Insgesamt dürfte sich sein Einzugsbereich auf den kompletten Bundesstaat ausgeweitet haben, von angrenzenden Gebieten gar nicht erst zu sprechen.«
    »Also keine acht Millionen Verdächtige, sondern gleich zwanzig. Großartig.« Zandt grunzte.
    »Ich fürchte, das reicht auch noch nicht«, warf Andy ein. »Erst kürzlich hat der Sender seinem Star einen professionellen Internetauftritt gegönnt. Ich mag mich irren, aber dazu gehörte sicher auch eine Podcast-Funktion. Wer Barry nicht im Radio empfing, konnte ihn also immer noch übers Netz hören.«
    Zandt sah ihn an, als sei es Andys Schuld, dass der Kreis der potenziellen Täter soeben auf die gesamte Weltbevölkerung ausgeweitet worden war. »Also suchen wir nach einem Wahnsinnigen, der der englischen Sprache mächtig ist«, brummte der Lieutenant ungehalten und kratzte sich erneut am Kopf. »Dürfte ja nicht allzu schwer zu finden sein.« Er klang, als wolle er ganz dringend nach Hause und die Tür hinter sich abschließen. Andy konnte es nachvollziehen, wenngleich ihn selbst die Übelkeit wieder nach draußen drängte, nicht die Polizeiarbeit.
    Stichwort Polizeiarbeit , dachte er, als Blitzlichter durch den Gang zuckten und die Kollegen von der Spurensicherung ihre Aufnahmen machten. Andy bemühte sich nach Kräften, ihnen nicht im Weg zu stehen, doch es gelang ihm nicht. Plötzlich hörte er einen der Männer hinter sich pfeifen.
    Als er sich umwandte, kniete der Kollege bereits auf dem Boden. »Das sollten Sie sich ansehen, Lieutenant, Diane«, sagte der Mann leise.
    »Was haben Sie, Mackey?«, fragte Zandt und trat näher.
    Vic Mackey - ein kahlköpfiger Muskeltyp mit Attitüdenproblem, dessen kugelrunder Schädel scheinbar übergangslos in seinen Oberkörper führte und dessen Ruf beim NYPD nicht gerade der beste war - deutete mit dem rechten Zeigefinger zu Boden. Andy kniff die Augen zusammen - und hob überrascht die Brauen, sowie er begriff, was der Kollege meinte.
    »Einen Fußabdruck, Sir«, sagte Mackey mit hörbarem Stolz über seinen Fund in der Stimme. »Unser Unbekannter hat eine Spur im Blut des Opfers hinterlassen.«
    Das Blut auf dem PVC-Belag mochte längst getrocknet sein, doch an dieser einen Stelle hatte es die Umrisse und das Profil von etwas konserviert, das für Andys ungeschultes Auge wie ein Herrenhalbschuh aussah. Eine Spur - im doppelten Sinne des Wortes.
    Zandt klopfte Andy auf die Schulter. »Ihr Leben wurde soeben eine ganze Nummer einfacher, Sipowicz. Vergessen Sie die zwanzig Mille da draußen. Stattdessen spielen Sie einfach Cinderella und bringen mir die Person auf die Wache, der dieser Schuh passt.«
    Diane lachte, doch Sergeant Andy Sipowicz fühlte sich nicht zum ersten Mal seit Betreten des WNYC-Gebäudes hoffnungslos überfordert.
    ***
    »Ich verstehe das nicht. Wieso…«
    »Weil wir wissen, was wir tun, und Sie unsere Ermittlungen nur behindern würden«, sagte Andy beschwichtigend. »Trotzdem danke.« Ein geschauspielertes
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