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093 - Neun Leben

093 - Neun Leben

Titel: 093 - Neun Leben
Autoren: Claudia Kern
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der Gruppe. Natürlich seid ihr noch nicht verurteilt worden, ihr wartet ja noch auf euren Prozess. Und das kann dauern, vor allem, wenn man nichts hat, womit man mich überreden könnte, euren Namen nach oben auf die Liste zu setzen.« Sein Blick glitt zu Aruula. »Vielleicht fällt euch ja was ein.«
    Sie erwiderte den Blick mit solcher Aggression, das er einen Schritt zurück machte. »Nun ja, denkt darüber nach.«
    »Maddrax?« Ein kleiner dünner Mann in der Nebenzelle legte die Hände um die Gitterstäbe. Seine Augen waren geweitet, als könne er nicht glauben, was er sah. »Maddrax? Bist du wirklich zurückgekehrt?«
    O nein, dachte Matt. Nicht die Götternummer.
    »Halts Maul.« Claas wandte sich ab, aber der Mann schüttelte den Kopf, streckte einen dürren Arm nach Matt aus.
    »Nein, das ist er. Ich war mit ihm in einer Zelle, und ich habe gesehen, wie er in dem Feuervogel zum Himmel aufgestiegen ist. Du hast ihn doch auch gesehen, Herr! Erkennst du ihn denn nicht?«
    Claas zögerte und kniff die Augen zusammen. Matt hörte, wie sein Name durch die Zellen getragen wurde, flüsternd und ehrfürchtig. Offensichtlich hatte man ihn nicht vergessen.
    »Ich will verdammt sein.« Claas sah zum Ende des Gangs.
    »Miichl!«, brüllte er jemandem zu, der nicht zu sehen war.
    »Lauf zum Palast und hol Meister Johaan! Er soll sofort kommen!«
    »Ja, Herr!«
    Claas steckte den Stock in den Gürtel, neigte den Kopf und ging schwerfällig vor Matt auf die Knie.
    »Mein König«, sagte er.
    »Was genau geht hier vor?«, fragte Mr. Black.
    ***
    Meister Johaan eilte hinter dem Soldaten her. Er roch dessen Alkoholfahne, wies ihn jedoch nicht zurecht. Wenn die Behauptung dieses Mannes stimmte, würde er ihm persönlich alles Bier kaufen, das er trinken konnte.
    »Hast du ihn selbst gesehen?«, fragte er nach. Seine lange Robe wirbelte Staub vom Boden hoch. Die Menschen, die so früh bereits auf den Beinen waren, sahen ihm verwundert nach.
    Sie waren ein würdevolleres Auftreten von ihm gewöhnt.
    »Nein, Herr, aber Claas hat ihn gesehen.« Der Soldat bog in eine Seitengasse ein und wäre beinahe mit zwei alten Frauen zusammengestoßen, die Freckeuscherkot aufsammelten. »Passt doch auf!«
    »Und wieso sitzt der König bei Claas im Kerker?« Johaan war außer Atem, verlangsamte seinen Schritt jedoch nicht.
    »Die Nachtwache hat ihn und zwei andere verhaftet, als sie sich in die Stadt schleichen wollten.«
    »Hat ihn denn niemand erkannt?«
    »Nein, Herr. Ihr wisst ja, wie es ist.«
    Das wusste Johaan in der Tat. Es hieß, dass man nur auf der Außenmauer arbeitete, wenn man zu dumm zum Brotbacken und zu ehrlich zum Stehlen war. Wenige schafften den Sprung zum Dienst in der Stadt oder gar im Palast. Es war kein Zufall, dass die Wachmannschaften fast vollständig aus Männern bestanden. Die Arbeit war langweilig und wurde schlecht bezahlt, aber viele Männer waren von dem entbehrungsreichen, stumpfsinnigen Leben in den Ruinen gezeichnet und konnten einen anderen Beruf weder geistig noch körperlich ausüben.
    Im Handel, im Handwerk und im Beamtentum waren überwiegend Frauen tätig. Sie bildeten die Mittelschicht der Stadt, und Männern gelang der Aufstieg fast nur durch Heirat.
    Es war ein entwürdigendes und diskriminierendes System, das Johaan seit Beginn seiner Amtszeit als Erster Königlicher Berater aufzubrechen versuchte. Zwei Jahre arbeitete er bereits daran, aber er befürchtete, dass noch zwei Generationen nötig sein würden, bis der Krieg zwischen Menen und Frawen nur noch eine entfernte Erinnerung war.
    Der Kerker lag in einer der schlechtesten Gegenden der Stadt, direkt am Palisadenzaun zwischen dem Schlachthof und der Gerberei. Der Geruch nach Blut und Fäulnis lag in der Luft, und die wenigen windschiefen Hütten, die sich um die Gebäude gruppierten, waren von Unrat umgeben.
    Die Wachen am Kerkereingang nahmen Haltung an, als Johaan und der Soldat sie passierten. Der oberirdische Teil des Gebäudes enthielt den Schlafraum des Kerkermeisters und eine kleine Kaserne, der unterirdische die Zellen der Gefangenen.
    Johaan hob seine Robe über die Knöchel und stieg die steinerne Treppe hinunter. Sie hatten den Kerker erst vor einem Jahr gebaut, weil der alte zu baufällig gewesen war. Die Königin hatte darauf bestanden, den Galgen abzuschaffen und das Anketten der Gefangenen auf ein Minimum zu reduzieren, aber was tatsächlich in den Zellen vorging, wussten nur die Wachen. Johaan hatte keine Zeit, sich darum zu
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