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0921 - Totengrinsen

0921 - Totengrinsen

Titel: 0921 - Totengrinsen
Autoren: Jason Dark
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bin kein Mensch, ich bin ein Engel…«
    Wie ein Engel sah er nicht gerade aus. Er hatte aber schon einen ungewöhnlichen Körper. Hätte er seine weißgraue Anstaltskleidung ausgezogen und sich nackt hingestellt, so hätte man einen völlig haarlosen Körper sehen können. Es gab keine Haare. Nicht auf dem Kopf, nicht auf der Brust, nicht unter den Armen und auch nicht an den Geschlechtsteilen. Er wirkte wie ein Neutrum oder wie eines dieser Geschöpfe, die man angeblich in notgelandeten UFOs gefunden hatte. Kopf, Körper, Beine, Arme, aber keinen Haarwuchs, sondern alles glatt. Eine Haut, die aussah wie die eines Babys und sehr verletzlich wirkte.
    Nathan lächelte gern. Er lächelte eigentlich immer. Für viele war es ein Grinsen, aber andere sagten, daß dieses Lächeln auch wissend war. Es zeigte den anderen Menschen die Überlegenheit, die Nathan ihnen gegenüber spürte, und er empfand seine Zelle auch nicht als Gefängnis, sondern als Basis, in der er sich wohl fühlte.
    Er trat wieder vom Fenster weg, weil es dort nichts Interessantes zu sehen gegeben hatte. Auf seinem Bett, schon mehr eine Pritsche, ließ er sich nieder und legte die Hände auf die Oberschenkel.
    Wieder lächelte er.
    Dabei blieb sein Gesicht starr, obwohl sich der Mund stark in die Breite zog. Die Augen blieben klar. Sie erinnerten an kleine Seen mit ruhiger Oberfläche. Wenn diese Augen einen Menschen anschauten, dann wußte die Person nie, was der andere dachte.
    Diese Augen würden sich auch dann nicht verändern, wenn Nathan jemanden erschlug.
    Und erschlagen hatte er Menschen.
    Das glaubte er zwar nicht, aber sie hatten es ihm immer wieder gesagt. Er hatte dann nur gelächelt.
    Wenn er redete, dann mit einer hohen Fistelstimme, als dränge sie nicht aus seinem Mund, sondern aus irgendwelchen Sphärenwelten. Zumeist sprach er von sich und stellte sich selbst als hohes Geschöpf dar, als einen Engel, den der Zufall auf die Erde geweht hatte.
    Nathans Sinne waren besonders ausgeprägt. So konnte er hören, was andere nicht hörten. Selbst das Krabbeln einer Fliege drang zu ihm, doch es störte ihn nicht.
    Die anderen wußten es nicht. Sie hatten ihren Rhythmus, und den behielten sie bei. Sicherlich waren sie auch froh, daß er nicht zu denen gehörte, die auf einen Freigang im Innenhof der Klinik spekulierten. Er hatte ihnen erklärt, daß er seine Freiheit anders sah und sie genoß. Daß sie es nicht begriffen, war ihm egal.
    In der Zelle lastete die Hitze. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht. Seit Tagen schon brannte sie nieder, als wollte sie beweisen, daß wieder stickigheiße Sommerwochen vor den Menschen lagen.
    Nathan machte es nichts aus.
    Ob Kälte oder Hitze, er nahm es hin. Er war ja kein Mensch, er war etwas Besonderes.
    Plötzlich horchte er auf.
    Tritte waren zu hören. Obwohl seine Zellentür schallgedämpft war, hörte er, daß jemand auf dem Gang war.
    Wollte er zu ihm? Immerhin war es Zeit für das Mittagessen. Das meiste ließ er stehen. Er brauchte keine Nahrung. Hin und wieder löffelte er seinen Teller leer, um den Wächtern einen Gefallen zu tun. Er wußte genau, daß dieses Essen präpariert war, aber das galt nicht für ihn, sondern mehr für die anderen, die durch Medikamente ruhiggestellt wurden. Sonst war hier die Hölle los.
    Auch Nathan bekam sie. Nur schlugen sie bei ihm nicht an. Er war eben nicht mit menschlichen Maßstäben zu messen.
    Ein Schlüssel kratzte von außen im Schloß. Zwei Riegel wurden zurückgeschoben, denn hier galten noch die alten Regeln. Da wurden die Türen mechanisch geöffnet, nicht elektronisch.
    Nathan blieb auf seinem Platz sitzen. In seinem Gesicht regte sich nichts, als er auf die Tür schaute, die nach innen gedrückt wurde. Zwei Männer waren zu sehen. Pfleger, die sich auskannten. Der eine schaufelte Essen auf ein Tablett, der andere brachte es dem Patienten.
    Nathan hob den rechten Arm zur Begrüßung.
    »Willst du was essen?« fragte der Pfleger. Er war ein Hüne von Gestalt und kräftig, und seine Haut schimmerte wie Ebenholz.
    »Weiß nicht.«
    »Es gibt Rindfleisch und Kartoffeln.«
    »Nein, lieber nicht.«
    »Gut, wie du willst. Und sonst?«
    »Mir geht es gut.«
    Der Pfleger schaute auf den zu einem Grinsen verzogenen Mund und erschauderte. Selbst er fürchtete sich vor dieser Gestalt und kam sich vor, als wäre er für den Kranken nur Mittel zum Zweck.
    Nathan machte einen sehr wissenden Eindruck, als wären ihm die tiefsten Geheimnisse der Welt
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